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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 643

Text

HELLMER: HUGO WOLF-VEREINE.

gemeinheit Eingang zu finden, kaum allein
ausreichen. Denn gewiss haben auch
Beethoven und Gluck, ja vielleicht selbst
Mozart und Schubert dem zeitgenössischen
Musikliebhaber die gleichen schwer zu
bewältigenden technischen Schwierigkeiten
geboten, gewiss ist auch ihrer Anerkennung
der träge Sinn eines conservativen Publicums
im Wege gestanden, und auch bei ihnen
musste die Eiskruste der Erstarrung in
altgewohntem Kunstgeschmack erst hin-
wegschmelzen, bis ihre Kunst ein ganzes
Volk durchwärmen und erleuchten konnte.

Es wird auch nicht angehen, in den
Wolf-Vereinen nur die Verwalter eines
künstlerischen Erbes des Meisters zu sehen,
der nunmehr einem so tragischen Geschicke
verfallen ist. Es mag sein, dass ihnen
heute auch diese Aufgabe zufällt. Aber
haben sich nicht die meisten von ihnen
constituiert zu einer Zeit, da Wolf in
geistiger Frische und Gesundheit noch
selbst hätte für die Propaganda seiner
Werke sorgen können? Und sind sie
nicht überdies so recht über seinen Kopf
hinweg, ja fast gegen seinen eigenen
Willen gegründet worden? Und durch
diese sonderbare Thatsache allein ist die
Notwendigkeit und somit die Existenz-
berechtigung der Wolf-Vereine bewiesen.
Wolf selbst ist stets seiner eigenen An-
erkennung im Wege gestanden als »sein
eigener größter Feind«, wie ihn Freunde
wohl gelegentlich auch genannt haben.
Er brauchte eine Mittelsperson zwischen
sich und dem Publicum. Es ist ein
Phänomen von fast einziger kunst-
psychologischer Bedeutung, das sich aus
dem schweren Contrast zwischen dem
großen berechtigten Selbstgefühle Wolfs
und der dürftigen Lebensstellung des
»armen Spielmanns« heraus entwickeln
musste. Ein Mensch von unscheinbarem
Aussehen, der es so gar nicht verstand,
»aufzutreten«, in den bescheidensten, fast
ärmlichen Verhältnissen lebend, dazu von
einer rührenden, festen Zuversicht in seine
Sendung und mit einem maßlosen Stolze
ausgestattet, der ihn lieber hungern ließ
als die wohlwollendst gebotene Gabe hin-
zunehmen, traf hier zusammen mit »Sr.
Majestät dem Publicum«, wie es Dehmel
nennt, mit dem Publicum, das so gerne
die Rolle Maecenas’ spielt, der Gnaden

austheilt, wo das künstlerische Selbst-
bewusstsein die Anerkennung als verdienten
Lohn fordert. Und da war es dann bloßer
Selbstschutz, wenn sich der Mann mit
dem so überaus feinen Organismus seiner
Nerven von aller Welt zurückzog, sich
ihr gegenüber in »unbegreiflichem« Trotze
verschloss und jede ihrer gönnerhaften
Anwandlungen in unberechenbarer Ge-
reiztheit erwiderte. Sie haben ihn deshalb
viel gescholten und geschmäht, Feinde
und übereifrige Freunde, und dabei ganz
übersehen, dass seine Wildheit nur ein
natürliches Kampfmittel gewesen, dessen
er bedurfte, um ungeschädigt von den
Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten des all-
täglichen Lebens die jungfräuliche Un-
berührtheit und Eigenart seiner Künstler-
seele sich zu erhalten. Dass ein solcher
den äußeren Erfolg seiner Arbeit nicht
fördern konnte, liegt klar am Tage,
Hier sollten denn auch die Wolf-Vereine
helfend eintreten. Den eigentlichsten Zweck
aber, dem sie dienen müssen, haben
sie erst nach ihrer Gründung erfahren
müssen, als sie sahen, dass ihren auf-
opferndsten Bemühungen und einsichts-
vollsten Bestrebungen kaum ein Erfolg
winkte, dass auch der kleinste Erfolg einer
bornierten Kritik und einem irregeleiteten
Publicum erst abgerungen werden müsse.
Und dass fast die gesammte deutsche
Kritik der Kunst Wolfs mit empörender
Geringschätzung begegnet, dass jeder
Schritt, der für seine Sache unter-
nommen wird, auf Antipathien, böswillige
Gerüchte, Entstellungen, ja Verleumdungen
trifft, das ist noch immer — sollte man
es für möglich halten? — ein Ausfluss des
Hasses gegen den großen Anerkannten
von heute, des Hasses gegen Richard
Wagner, als dessen simpler Epigone
Wolf so lange gegolten und als den ihn
auch heute noch die breite Allgemeinheit
classificiert. Der ganze alte Hass, dem
sich Wagner dadurch entzogen, dass sich
sein grandioses agitatorisches Talent an
Kaiser und König, an sein Volk, ja an
die Welt als an höhere Instanzen ge-
wendet, lebte all die Jahre hindurch in
einer hässlichen Geringschätzung der
Wolf’schen Kunst wieder auf. Das ganze
Register von Schmähungen, welche die
Kritik gegen Wagners unvergleichliche

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 643, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-27_n0643.html)