Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 650

Hypnotismus und Magnetismus III. (Thomassin, Carl von)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 650

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THOMASSIN: HYPNOTISMUS UND MAGNETISMUS.

in Frankreich und die »Gesellschaft für
psychologische Forschung« in Deutschland,
die in ihren Schriften Beiträge hervor-
ragender Forscher auf hypnotischem Gebiete,
z. B. von Dr. Baron v. Schrenck-Notzing
und Dr. Max Dessoir publicierte.* Ein
Beweis für die der Wissenschaft des
Hypnotismus in neuester Zeit beigemessene
Bedeutung ist die Thatsache, dass der im
Jahre 1896 zu München abgehaltene
internationale Psychologen-Congress eine
eigene Section für Hypnotismus und ver-
wandte Gebiete ins Programm auf-
genommen hatte.

Seit der Ausbildung der modernen
hypnotischen Wissenschaft ist vielfach die
wichtige Streitfrage des Unterschiedes
zwischen Hypnotismus, Suggestionismus
und Magnetismus erörtert worden. Der
bekannte occultistische Schriftsteller Baron
Dr. du Prel weist in seiner Studie über
»Die psycho-magnetische Kraft« (die in
seinem Werke »Die Entdeckung der Seele«
enthalten ist) darauf hin, dass, wenn der
Magnetismus in der That sich in Suggestion
auflösen würde, d. h. wenn die Suggestion
der einzige Wahrheitskern des Magnetismus
wäre, nur solche Objecte magnetisiert
werden könnten, die für Suggestionen
empfänglich sind, also nur lebende Menschen,
die eine Vorstellung aufnehmen können
und wissen, dass ihnen eine Vorstellung
eingepflanzt wird. Nun sei es aber That-
sache, dass nicht nur Schlafende magne-
tisiert werden können, sondern auch Thiere,
Pflanzen und leblose Gegenstände. Von
Suggestion könne dabei offenbar keine
Rede sein, sondern es liege ein magnetisches
Agens vor. Ferner findet er, dass schon
zur erfolgreichen Suggestion selbst eine
Kraft, offenbar identisch mit der des
animalischen Magnetismus, nothwendig sei.
Er schreibt: »Was ist Suggestion? Zunächst
nichts anderes, als eine im Gehirn des
Patienten erweckte Vorstellung. Als solche
bleibt dieselbe offenbar auf das Gehirn
beschränkt. Soll sie innerhalb des Organis-
mus physiologisch wirken, z. B. zunächst
den hypnotischen Schlaf erzeugen, so muss

sie zu diesem Behufe erst eine Kraft
auslösen, die nur wieder am Gezweige
des Nervensystems sich fortpflanzen und
die von der Suggestion bezeichneten
Änderungen herbeiführen kann. Die Vor-
stellung als solche ist also noch keine
physiologische Dynamide; es bedarf noch
einer von ihr ausgelösten Kraft, und diese
Kraft ist eben identisch mit dem animalischen
Magnetismus. Der Hypnotiseur, welcher
den animalischen Magnetismus leugnet,
leugnet also damit die Voraussetzung
seines eigenen Systems. Hypnotismus und
Magnetismus bilden kein Entweder-Oder,
sondern ein Sowohl-Als-auch. Der Magne-
tiseur benützt seine eigene Kraft und lässt
sie auf den Patienten überströmen; der
Hypnotiseur setzt die im Patienten selbst
liegende, mit jener wesentlich identische
Kraft in Bewegung. Die Suggestion ist
also nur der Hebel für Auto-Magnetisation.«

In seinen weiteren Klarlegungen äußert
er sich sodann noch an anderer Stelle:

»Man könnte sagen, dass in gewissen
Fällen die mit Gedankenübertragung ver-
bundene Suggestion das Resultat herbei-
führe. Gewiss; aber die Gedankenübertragung
kann doch nicht darin bestehen, dass der
Gedanke als solcher die Wanderung durch
den Raum antritt. Wir brauchen noch ein
Vehikel, eine Kraft, und zwar eine im
Agenten (Wirkenden) liegende, von seiner
Psyche beeinflussbare Kraft, und damit
stehen wir wieder vor dem Magnetismus.
Dass diese fernwirkende Kraft mit der
magnetischen identisch ist, zeigt sich in
der Identität der Wirkung. Der Patient
wird eingeschläfert, und zwar tritt nicht
der gewöhnliche Schlaf ein, sondern der
magnetische, in welchem der Patient solche
Fähigkeiten zeigt, die nur dem Somnambulen
angehören.«

Der bekannte Fachmann Professor
Ochorowicz schließt sich in seinem
beachtenswerten Werke »Hypnotismus und
Magnetismus« (Leipzig, Oswald Mutze
1879) im wesentlichen diesem Urtheile an.

Schröter spricht in seinem Werke, den
Unterschied zwischen dem hypnotischen

* Seit einigen Jahren erscheint in Deutschland eine »Zeitschrift für Hypnotismus und
verwandte Gebiete«, welche die hervorragendsten Fachmänner zu Mitarbeitern hat. Im Jahre
1898 wurde zu Wiesbaden auch eine »Zeitschrift für Magnetismus« von P. Rohm, L. Malzacher
und Otto Richter gegründet, zu der sich vor einigen Monaten die in Leipzig erscheinenden
»Blätter für Lebens-Magnetismus« von Paul Schröder gesellt haben.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 650, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-27_n0650.html)