Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 649

Hypnotismus und Magnetismus III. (Thomassin, Carl von)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 649

Text

THOMASSIN: HYPNOTISMUS UND MAGNETISMUS.

Nancyer Schule Liébaults über die
»Unentbehrlichkeit der Hysterie zu hyp-
notischen Zuständen«, welche von der
Pariser Schule angenommen wurde. Der-
selbe wurde später zu einem solchen über
die Unentbehrlichkeit der Suggestion, für
welche besonders die Nancyer Schule ein-
trat. Im Jahre 1883 gab Bernheim
als Vorkämpfer der letzteren sein (von
Freud ins Deutsche, von Castanos
ins Spanische übersetzte) Werk »De la
suggestion et de ses applications à la
thérapeutique« (1886) heraus, das für den
modernen Suggestionismus grundlegend
geworden ist.*

In Deutschland haben Moll, Schmid-
kunz
, Gerster, Schrenk-Notzing,
Maack, Lilienthal, in Österreich
Krafft-Ebing und Kusmanek, in
der Schweiz Forel, in Italien Moreili,
in Schweden Wetterstrand, in Amerika
James, in Holland van Rentherghem
und van Eeden bedeutende wissen-
schaftliche Werke über Hypnotismus und
Suggestionismus publiciert. Speciell das
deutsche Werk von Prof. Moll ist mit
Recht ein Compendium der neuen Wissen-
schaft genannt worden.

Neben den wissenschaftlichen sind in
letzter Zeit auch verschiedene populäre
Werke über Hypnotismus und Suggestio-
nismus erschienen. So hat der Hypnotiseur
Gerling auf Grund seiner zahlreichen
Experimente durch sein Werk: »Der
praktische Hypnotiseur und der Suggestio-
nismus‹, durch das vor kurzem erschienene
»Handbuch der hypnotischen Suggestion«,
sowie der Hypnotiseur Gessmann durch
verschiedene Katechismen den Hypnotismus
den weitesten Kreisen zugänglich zu machen
gesucht.

Über Heil-Magnetismus sind, wie wir hier
noch erwähnen müssen, auch in den letzten
Jahren eine ganze Reihe von populären
Schriften alter Praktiker, wie: Schröter,
Philipp Walburg Kramer und Langs-
dorff
erschienen. Eine umfassende Dar-
stellung des gesammten Gebietes des
Heil-Magnetismus und seiner Geschichte
hat Professor Rouxel in seiner »Histoire
et philosophie du magnétisme« (2 vol.,
Paris 1894—95) gegeben. Sein College an
der Faculté magnétique in Paris, von der
wir noch sprechen werden, H. Durville,
hat einen auch in historischer Hinsicht
sehr aufklärenden »Traité experimentale
du magnétisme« (1894) verfasst. Seine in
Paris in der »Librairie du magnétisme« er-
scheinende »Bibliographie du magnétisme«
ist für Forscher auf dem Gebiete des Magnetis-
mus ein vorzügliches Mittel zur Orientierung.

Vor einigen Jahren haben mehrere
hervorragende Fachmänner auf dem Gebiete
des Magnetismus durch energische Agitation
die staatliche Anerkennung einer Hoch-
schule für Magnetismus in Paris, der
»Faculté des sciences magnétiques«, durch-
gesetzt. Auch in Deutschland hat man
sodann versucht, eine derartige Hochschule
in Berlin zu gründen. Der Herausgeber
der »Neuen metaphysischen Rundschau«
hat hierüber eine eigene Schrift: »Eine
deutsche Hochschule für Magnetismus«
herausgegeben, die zwar großes Aufsehen
erregt, aber leider noch nicht zu dem
gewünschten Resultate geführt hat. Sehr
förderlich waren der hypnotischen Wissen-
schaft die in den letzten Jahren im In-
und Auslande gegründeten Gesellschaften
für »Experimental-Psychologie und psy-
chische Forschung«, namentlich die
»Society for psychical research« in England,
die »Société des sciences psychologiques«

(Wiesbaden, 1896) über »photographische Lichtbilder, gewonnen durch odisch-magnetische
Ausstrahlung aus dem Organismus von Magnetopathen« berichtet. Dr. Baraduc in Paris hat
den Mitgliedern des internationalen Psychologen-Congresses in München (1896) eine Schrift
zugehen lassen, betitelt »L’atmosphère fluidique de l’homme«, in der er die Hauptpunkte
seines bei Carré in Paris erschienenen Werkes »L’Ame humaine, ses mouvements, ses lumières
et l’iconographie de l’invisible fluidique« wiedergibt. Er behauptet, 200 Clichés zu besitzen,
die beweisen, dass »die Beeindruckung der photographischen Platte durch den Menschen ohne
Contact, ohne Sonnenlicht, Elektricität, Objectiv, durch seine eigene persönliche Vibration, durch
das, was man das Licht der lebenden Seele nennen könnte, möglich ist.«

* Neuerdings sind auch in der Nancyer Schule Zweifel darüber entstanden, ob wirklich »alles
Suggestion ist«. Sowohl Liébault wie Beaunis schienen nunmehr Zugeständnisse machen zu
wollen. Wenn man bedenkt, dass auch rein somatische (körperliche) Mittel die Hypnose herbei-
führen können, ist es überhaupt nicht recht begreiflich, wie man solange an der rein suggestio-
nistischen Erklärung festhalten konnte.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 649, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-27_n0649.html)