Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 648

Hypnotismus und Magnetismus III. (Thomassin, Carl von)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 648

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THOMASSIN: HYPNOTISMUS UND MAGNETISMUS.

Um die Mitte des Jahrhunderts, im
Jahre 1843, publicierte in England James
Braid seine »Neurypnologie«, in welcher
er die magnetische Wissenschaft in physio-
psychologischer Hinsicht weiterentwickelte.*
Um dieselbe Zeit erschien Baron Reichen-
bachs
Werk »Der sensitive Mensch«;
der Verfasser erörterte in demselben seine
Lehre vom »Od«, den Ausstrahlungen
der Menschen, unter Hinweis auf zahlreiche
von ihm angestellte Experimente.** Im
Jahre 1862 gelang es endlich Charpignon,
die officielle Anerkennung der Akademie
mit seiner »Médicine morale« (geistigen
Heilkunst) zu gewinnen, nachdem noch im
Jahre 1826 der Arzt Husson vergeblich
versucht hatte, sie zur Anerkennung des
Magnetismus zu bestimmen, und auch im
Jahre 1840 noch ein negatives Gutachten
von ihr abgegeben worden war.

Im folgenden Jahre gab die medici-
nische Facultät in Wien das Gutachten
ab, dass das Vorkommen schlafähnlicher
Zustände möglich sei, in denen Personen
Wahrnehmungen machen können, deren
sie sich erst bei Wiederholung des Zu-
standes erinnern.

Im Jahre 1866 erschien in Frankreich
das große Werk des Nancyer Professors
Liébault über den Schlaf, und mit dem-
selben nahm die Periode des modernen
Hypnotismus ihren Anfang, in welcher
die Probleme desselben infolge der Fort-
schritte in den medicinischen und psycho-

logischen Wissenschaften vielfach erhellt
werden konnten. Charakteristisch für die
Eigenart gewisser akademischer Kreise in
Deutschland und Österreich ist die That-
sache, dass man daselbst erst durch den
Streit über die Vorstellungen des Magneti-
seurs Carl Hansen auf die magnetischen
und hypnotischen Forschungen wieder auf-
merksam gemacht werden musste. Wenn
nun auch eine Anzahl ärztlicher Forscher
mit eigenen Beobachtungen auftrat und,
wie es z. B. G. H. Schneider und
Rosenbach in ihren Schriften gethan
haben, die psychologischen Ursachen der
hypnotischen Phänomene festzustellen
suchte, so waren sie doch längst durch
die früheren Forschungen überholt. Leider
musste man denn auch in Bälde zu-
gestehen, dass auf dem scheinbar neuen
Gebiete, über dessen »Entdeckung« im Jahre
1881 Preyer berichtete, eigentlich nichts
Neues mehr zu entdecken war.

In den letzten Jahren wurde sodann
in allen Ländern die hypnotische und
magnetische Literatur derart bereichert,
dass sie gegenwärtig kaum mehr zu
übersehen ist. In Frankreich lieferten
namentlich Charles Richet, Charcot,
Janet, Cullère, de Rochas, Beaunis
und Encausse-Papus beachtenswerte
Beiträge.

Es handelte sich nunmehr vor allem
um die Entscheidung des Streites zwischen
der Pariser Schule Charcots und der

als die praktische Metaphysik auf, als welche schon Baco von Verulam in seiner Classification
der Wissenschaften (Instauratio magna L. III) die Magie bezeichnete; er ist die empirische
oder Experimental-Metaphysik. Weil ferner im animalischen Magnetismus der Wille als Ding
an sich hervortritt, sehen wir das der bloßen Erscheinung angehörige »Principium indivi-
duationis« (Raum und Zeit) alsbald vereitelt; seine die Individuen sondernden Schranken
werden durchbrochen; zwischen Magnetiseur und Somnambulen sind Räume keine Trennung,
Gemeinschaft der Gedanken und Willensbewegungen tritt ein. Der Zustand des Hellsehens setzt
über die der bloßen Erscheinung angehörenden, durch Raum und Zeit bedingten Verhältnisse,
Nähe und Ferne, Gegenwart und Zukunft, hinaus.«

* In England und Frankreich traten damals auch verschiedene Praktiker, wie: Esdaile,
Mennier und Durand le Gros auf. In Amerika verbreitete sich eine dem Magnetismus ver-
wandte »Wissenschaft« unter dem Namen »Elektro-Biologie«.

** Diesbezüglich sei noch darauf hingewiesen, dass neuerdings mehrere Experimentatoren
Photographien der menschlichen »Od«-Ausstrahlungen aufgenommen haben. L. Tormin
berichtet in seiner Schrift: »Magische Strahlen. Die Gewinnung photographischer Lichtbilder
lediglich durch odisch-magnetische Ausstrahlung des menschlichen Körpers«. (Mit Abbildungen.
Düsseldorf. Schmitz und Olbertz. 1896), dass er in einer Dunkelkammer eine empfindliche
Platte mit der Cassette in einen Kasten aus Blech oder Holz, aus dessen Deckel ein Kreuz
herausgeschnitten war, gelegt und die Fingerspitzen über das Kreuz gehalten habe, um Magne-
tismus ausstrahlen zu lassen, und dass sich dann auf der Platte deutlich das Bild eines Kreuzes
abgezeichnet habe. Aus diesen unter Controle des Prof. Erola vorgenommenen Experimenten
zieht er den Schluss, dass den Fingern eine stoffdurchdringende, leicht phosphorescierende
Fluidkraft entströmt, die er mit der magnetischen identificiert. — Auch der Magnetiseur P. J.
Rohm hat in seinem Werke »Der Magnetismus als Heilkraft, durch Wort und Beispiel begründet«

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 648, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-27_n0648.html)