Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 652

Imperium und Katholicität (Arjuna, Harald van Jostenoode)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 652

Text

ARJUNA: IMPERIUM UND KATHOLICITÄT.

eintritt, wie er überhaupt den Schwerpunkt
auf die Rasse legt. Er stimmt da ganz
mit meinen Anschauungen überein, die
ich wiederholt in meinen Schriften nieder-
gelegt und vertheidigt habe. Ich wünschte,
dass die germanischen Völker sich ganz
von solchen Gedanken durchtränken ließen,
damit wir rascher auf unserer Bahn fort-
schreiten könnten. Der Rassen-Gedanke
dürfte im nächsten Jahrhundert noch eine
große Rolle spielen, und daher mag das
vorliegende Werk die schönste Mitgabe
sein, die das scheidende Jahrhundert dem
kommenden reicht. Freilich, es gehört
auch eine gewisse Tiefe dazu, Chamberlain
folgen zu können. Manchmal drückt er
sich ziemlich unklar aus, manchmal ist
seine Sprache unnöthig kräftig. Wenn —
nach dem bekannten Spruche — der
Mensch an seinem Stil erkannt wird, dann
haben wir es bei dem Verfasser mit einer
fest ausgebildeten Persönlichkeit zu thun.
»Höchstes Glück der Menschenkinder ist
nur die Persönlichkeit,« sagt Goethe. Dies
vorausgesetzt, müssen wir uns selbst Glück
wünschen, dass es noch solche kräftige
Persönlichkeiten gibt, in einer Zeit, der
man sonst immer die Decadenz nachsagt.
Der Geist aber, der aus einer solchen
Persönlichkeit zu uns redet, wird andere
Persönlichkeiten mächtig beeinflussen und
so zu ihrer Bildung beitragen, zu jener
neuen Bildung, die sich formen muss im
Laufe des nächsten Jahrhunderts.

Das kommende Jahrhundert wird aber
hauptsächlich von zwei Principien be-
herrscht werden: dem des Nationalismus
und dem der Religion. Chamberlain
weist kräftig auf beide hin. Er kämpft für
eine neue Religion: die des Mysticismus,
und bekämpft daher mit großer Energie
den Katholicismus und den Gedanken der
Weltherrschaft. Hier ist es, wo er meiner
Ansicht nach über das Ziel schießt und
der Correctur bedarf. Ich will daher kurz
im folgenden meine eigenen Ansichten
sagen, als nothwendige Ergänzung der
Theorien Chamberlains.

Auch ich bin der Meinung Chamber-
lains, dass die Mystik die einzig authen-
tische Auffassung der Lehre Christi be-

deutet. Ich habe das stets den Theologen
gesagt, und bedauere daher auch, dass so
wenig in beiden Kirchen geschieht, um
sie den Gläubigen zugänglich zu machen.
Aber man muss sagen, dass nicht jeder
einer solchen hohen Auffassung der Religion
gewachsen ist. Es gab und gibt in jeder
wahren, das heißt tiefen Religion zwei
Richtungen: eine exoterische und eine
esoterische. Christus selbst hat diesen Unter-
schied gemacht. Die alten Brahmanen
gaben den nach ihrer Ansicht Ungebildeten
die Veden nicht zu lesen, und die egyp-
tischen Priester lehrten das Volk anders,
als sie selbst dachten. Das älteste Christen-
thum muss man sich ebenfalls esoterisch
vorstellen. Erst als mehr unreine Elemente
die ursprünglich so hoch stehende Ge-
meinde der Gläubigen, der »Heiligen«,
durchsetzten, musste auch der Geist sich
ändern. Als die Christen die Katakomben
verließen und sich Kirchen auf offenem
Platze bauten, verloren sie naturgemäß den
ursprünglichen Geist. Damit wurde aber
auch eine »Kirche« nöthig. Je dumpfer
und schlechter das Volk, desto größer und
strenger muss die Kirchengewalt sein,
desto exoterischer aber auch die Kirchen-
lehre, also die »Dogmen«.

Mit dieser also schon ausgebildeten
Kirchengemeinschaft, an deren Spitze der
Papst zu Rom stand, wurden die Germanen
bekannt. Chamberlain meint nun, dies sei
ein großes Unglück für sie gewesen. Ich
glaube an das Gegentheil. Die damaligen
Germanen waren der esoterischen Auf-
fassung der Religion unfähig. Sie mussten
das römische Joch auf sich nehmen, wenn
sie Fortschritte auf geistigem Gebiete
machen wollten. Sie waren wie die Kinder
und sind es der Mehrzahl nach auch heute
noch. Man hat auch Unrecht, sich die
alten Germanen so ideal vorzustellen,
wie es heute so oft geschieht. Wer
sämmtliche Quellen liest, nicht bloß die
Tendenzschrift des Tacitus, die nur mit
Vorsicht aufzunehmen ist, muss bekennen,
dass ihre Sittlichkeit so wenig ideal war,
wie die der Arier in der Zeit der Veden.*

Als Chlodwig von den Leiden Christi
hörte, sagte er: »Wäre ich doch nur mit

* Ich verweise z. B. auf Grisar: »Geschichte Roms und der Päpste im Mittelalter«,
Verlag Herder (Freiburg i. B.) und Zimmer: »Indisches Leben«.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 652, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-27_n0652.html)