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meinen Franken dagewesen, wir hätten
mit unseren Äxten ein Blutbad unter seinen
Feinden angerichtet!« Wie soll man einem
solchen naiven Menschen eine esoterische
Auffassung der Religion beibringen? Hätte
ihm der Priester gesagt: »Dieser Jesus
von Nazareth war keineswegs Gottes Sohn,
gleichen Wesens mit dem Vater, sondern
ein gewöhnlicher Mensch wie du, dein
ganzes Bestreben muss nur sein, ihn nach-
zuahmen, und wenn dir einer auf den
rechten Backen schlägt, musst du ihm
auch den linken hinhalten u. s. w,« —
so hätte er mit seinen Lehren keinen
Erfolg gehabt. Er musste ihn schrecken
mit dem Fegefeuer, der Hölle, dem Kirchen-
bann und allem übrigen. Die Päpste aber
waren nothwendig, um über die Einheit
der sichtbaren Kirche zu wachen und durch
die Kirche auf die rohen Gemüther der
fehdelustigen Germanen zu wirken.
In jeder Periode fasst das Volk die
Religion nach seiner Culturstufe auf. Ein
kriegerisches Volk betrachtet die Religion
wie einen Kampf für seinen Herrn gegen
äußere Feinde. Es erkennt noch gar
nicht den Feind in seinem eigenen Innern.
So ist z. B. der ganze »Heliand« (wie
die angelsächsische Poesie) durchtränkt
von kriegerischem Geist. Christus ist der
Heerkönig, und seine Jünger sind die An-
trustionen. Im altfranzösischen Rolands-
lied sagt der Erzbischof Turpin zu seinen
Leuten, er heiße sie kräftig in die Feinde
schlagen, um ihre Sünden dadurch aus-
zulöschen; denn die »Heiden« hätten alle-
mal Unrecht, die Christen Recht.* So
rnusste man damals reden. Vom Atman
aber und Buddhi und Manas hätten die
harten Recken nichts verstanden.
Es ist auch nicht richtig, dass die
Päpste immer nur darauf ausgegangen
seien, das freie Germanenthum hinterlistig
zu unterdrücken. Im Gegentheil. Sie waren
an Bildung den Germanen überlegen und
gaben weise Gesetze, die zum Besten des
Volkes waren. Ich erinnere nur an die
Auflösung der gefährlichen Sippenverbände
(mit ihrem Gefolge von Blutrache u. s. w.)
durch das Verbot der Ehe unter nahen
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Verwandten. Ich erinnere an das Verbot
der Turniere, der Duelle und des Ge-
brauches von Schusswaffen. Ich erinnere
an die Fürsorge für alle Schwachen, für
die Leibeigenen u. s. w. In dem von
Chamberlain gerühmten freien Island war
es erlaubt, einen wehrlosen Bettler zu ent-
mannen. Gewalt, Roheit und Unterdrückung
herrschten allenthalben im Mittelalter. Vor
weltlichen Strafen hatten viele keine Furcht,
zumal wenn sie mächtig waren. Den ent-
setzlichen Marschall Gilles de Retz, der
viele Tausende von Kindern ermordete,
um sich an unnatürlicher Wohllust zu er-
götzen, hat keine weltliche Obrigkeit vor
ihr Forum zu laden gewagt. Da gieng
das geistliche Gericht vor und bewirkte
seine Verurtheilung. — Recht klar wurde
mir die Stellung des Papstthums, als ich
im historischen Seminar zu Leipzig unter
Professor von Noorden die Entstehung
des Streites zwischen Heinrich IV. und
Gregor VII. nach den Quellen studierte.
Da sah ich, dass die Darstellung, wie sie
bei uns in den Schulen üblich ist, der
Wahrheit nicht entspricht. Der Kaiser
war ein Grobian, das Recht aber
war auf Seiten des Papstes, der
nicht dulden wollte, dass eine geistige
Macht wie die Kirche unterdrückt würde
durch weltlichen, egoistischen Einfluss.
Hätte der Kaiser gesiegt, so wäre das
Reich des Geistes noch viel weniger ge-
kommen. — In Holstein war eine kleine
Bauern-Republik der freien Ditmarschen.
Sie duldeten keinen Herrn über sich, die
stolzen Bauern. Aber dem Papst huldigten
sie freiwillig als ihrem geistlichen Vater.
Sie sandten ihm einst als Zeichen ihrer
kindlichen Unterwerfung in geistigen
Dingen ein ganzes Schiff voll von allem,
was sie als Bestes bei sich auftreiben
konnten, Seehundsfelle u. s. w. Das Schiff
gieng unter. Aber der Papst, gerührt
durch solche Treue, schickte den vierzig
Regenten, die das kleine Gemeinwesen be-
herrschten, vierzig kostbare Pelze, die dort
noch heute, in Kisten wohlverwahrt, zu
sehen sind. Das beweist doch, dass es
mit der römischen Unterdrückung nicht
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