Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 655

Imperium und Katholicität (Arjuna, Harald van Jostenoode)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 655

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ARJUNA: IMPERIUM UND KATHOLICITÄT.

flussen, dass er aufhört zu leiden —
oder ob ich sage, er wendet sich in
frommem Gebet an einen außerweltlichen
Gott, von dem er glaubt, dass er ihm
meinetwegen durch ein Wunder helfen
kann — — das ist praktisch ganz das-
selbe. Wollte man einem einfachen Land-
mädchen von dem Gotte sprechen, der in
seinem Innern säße, würde es einen gar
nicht verstehen. Aber den Gott, der »von
außen stößt«, begreift es weit eher.*

Mir sagte einmal ein Brahmane, als
ich mich unglücklich fühlte, um mich zu
trösten: »Bedenken Sie, dass Sie ihrem
Wesen nach (essentially) Gott sind!« Ich
erwiderte, dass mir das leider nicht helfen
könne, da ich mir doch keine Vorstellung
davon machen könne

Die neue Lehre — die ja auch die
alte ist — wird ganz gewiss langsam
durchdringen, wenn der Same auf frucht-
baren Boden fällt.

Nun ist aber noch etwas zu berück-
sichtigen. Die Religionsgemeinschaft soll
nicht allein durch Mystik zu Gott führen
— sie muss auch, da wir nun einmal als
Menschen an die Erde gefesselt sind, den
praktischen Weg zeigen, im Verkehr mit
den anderen Menschen stets das Richtige
zu treffen. Daher ist es consequent, dass
eine Religion, die den Anspruch erhebt,
die einzig wahre zu sein, auch für ein
Gottesreich auf Erden sorgen muss. Im
Mittelalter kam aber nur »die Kirche« in
Betracht; also kam ihr auch zu, die
Civitas Dei geistig zu inaugurieren.
Dass sie neuerdings wieder zu den alten
Ansprüchen zurückkehrt — denn vor 100
Jahren wusste man schon fast gar nichts
mehr von den Rechten des Papstes —
kommt einfach daher, dass die Grund-
lagen der Staaten allmählich erschüttert
worden sind, und dass die Menschen an-
fangen, nach anderen geistigen Kräften
Umschau zu halten. Der Staat war bis
vor etwa 50 Jahren der Popanz, der den
Menschen völlig in Anspruch nahm. Jetzt
sieht er auf einmal, dass der Staatsgedanke
denn doch nicht das Höchste ist. Aus
diesem Gefühl des Unbefriedigtseins zieht

die katholische Kirche Nutzen, und zwar
ist es wesentlich gerade die Mystik, die
in ihr anzieht. Oder wie erklärt es Herr
Chamberlain, dass so viele Künstler, Ge-
lehrte und Geistliche in diesem Jahrhundert
katholisch geworden sind? Es ist doch
nicht das Studium des Aquinaten oder
der Encyklika, das Convertiten gemacht hat.

Ich beklagte einmal einem Kapuziner
gegenüber, dass der Papst den veralteten
Thomas von Aquin so angelegentlich
empfehle. Da entgegnete er mir, der Papst
könne doch nicht auf einmal mit dem ganzen
System brechen, er denke sich, wenn die
Geistlichen erst einmal anfangen, sich
wieder mit Philosophie zu beschäftigen,
würden sie mit der Zeit auch weiter
gehen. Ich glaube das auch.

Man kann sich ganz wohl denken,
dass sich die katholische Kirche allmählich
dem Protestantismus nähern und dass ein
Ausgleich stattfinden wird.** Ich kann mir
nicht vorstellen, dass eine europäische
Nation eine eigene Religion erfindet, eine
Art National-Religion, wie Lagarde meint,
und diese für sich behält. Alle geistigen
Regungen in Europa werden gemeinsam.
Wenn die Germanen neue Gedanken in
der Religion aufbringen, werden sie auch
als Apostel derselben auftreten und sie
den anderen Völkern mittheilen. Dann
wird aber immer die Katholicität den
Vorrang behaupten.

Ähnlich steht es mit dem Gedanken
des Imperiums. Wenn ein Volk geistig
oder materiell die anderen Völker über-
ragt, hat es auch eine Art Vorherrschaft.
So hatten die Römer die sogenannte Welt-
herrschaft, dann die Deutschen. Durch
Ludwig XIV. gieng sie bis zu Napoleon I.
auf die Franzosen über, und in diesem
Jahrhundert haben die Engländer etwas
davon. Ob diesem Zustand die Kaiser-
würde entspricht, ist Nebensache. Der
Gedanke des Kaiserthums ist römisch
und, wie vieles andere, aus dem Staats-
rechte der Römer von den Germanen über-
nommen worden. Es ist kein Grund vor-
handen, den an und für sich schönen und
berechtigten Gedanken preiszugeben. Auch

* Man vergleiche auch darüber meinen Aufsatz: »Zur Physiologie des Betens« in Nr 25
der »Wiener Rundschau« (Jahrg. III).

** Man vergleiche meine Schrift: »Christlich-Germanisch«. Fleischer in Leipzig, 1899.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 27, S. 655, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-27_n0655.html)