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der doch kraft seiner coloristischen
Souveränität gedankenlos bis in das letzte
Restchen seiner Nuancen ist, sind die
Farben-Empfindungen trotz alledem Sub-
strate unmalerischer Associations-Vor-
stellungen. Leugnet man also doch —
wenn auch nur innerhalb der Bewusstseins-
Sphäre — die äußerste Consequenz des
rein ästhetischen Kunstbetrachtens, die in
der Ansicht wurzelt, dass die Welt der
Linie und Farbe (eine durchaus organische
und exclusive Welt!) mit der Welt
außerhalb der Linie und Farbe gar nichts
gemein habe, dann wird man Lotzes
nicht vergessen dürfen, der die so räthsel-
hafte, psychische Wirkung der äußeren
Umrisse und Linien im Raum — allerdings
mit Zuhilfenahme eines associativen
Factors — herrlich gedeutet hat:
»Die Gewalt der (in unserem Innern)
herrschenden Strebungen trifft nicht allein den
Ablauf der Vorstellungen und Gefühle; sie zeigt
sich auch durch angeborene Notwendigkeit
in äußeren, leiblichen Bewegungen, die
eine Brücke von dem geistigen Werte des Ge-
dankens zu der sinnlichen Darstellung
schlagen. Zwar auch ohne dies würden ein-
fache, strenge Zeichnungen im Raume,
an sich bedeutungslos, durch den wohlthuenden
Wechsel der Anspannung und Ruhe, den sie
dem umlaufenden Auge gewähren, die
ersten Spuren einer noch spielenden Schönheit
verrathen; aber wer einmal seine eigene Stimme
vom Schmerz gebrochen fand und die bebende
Anspannung der Glieder im unterdrückten Zorne
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fühlte, für den ist das sinnlich
Anschau-
bare redend geworden, und was er selbst
äußerlich kundzugeben genöthigt war, wird er
unter jeder ähnlichen, fremdher dargebotenen
Erscheinung wieder vermuthen. Man darf
glauben, dass auf solchen Erfahrungen am
meisten unsere Beurtheilung schöner, räum-
licher
Umrisse beruht. Wenn es immer ver-
geblich gewesen ist, für die Schönheit
eines solchen Umrisses eine
wissen-
schaftlich
berechenbare Bedingung zu
finden, so rührt es daher, weil er nicht
durch sich selbst, sondern durch Erin-
nerungen wirkt. Wer einmal eine theure
Gestalt unter dem Gewicht des Grams in weh-
müthiger Ermattung sich beugen und sinken
sah, dem wird der Umriss solchen Neigens
und Beugens, dem inneren Auge vorschwe-
bend, die Ausdeutung unendlicher
räum-
licher
Gestalten vorausbestimmen, und er
wird sich fruchtlos besinnen, wie so einfache
Züge der Zeichnung so innerliche Gefühle in
ihm anregen konnten So bildet also das
leibliche Leben, mit Nothwendigkeit Inneres
durch äußere Bestimmungen auszudrücken
treibend, einen Übergang zum Verständnis
sinnlicher Gestalten und Umrisse «
Da hätten wir also den associa-
tiven Factor als mächtigstes Element
der Linienwirkung. Wie aber die Linien-
und Farbenwirkung in ihrer psychischen
Unmittelbarkeit, deren Möglichkeit
heute feststeht, im Gegensatze zu der
bisherigen Ästhetik ohne associativen
Hilfsfactor zu deuten wäre, mögen in
Ergänzung des bisher Gesagten die nächsten
Ausführungen ergeben.
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