Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 8

Die Kaiserin Aus ihrem Tagebuche : Ein December-Abend (Khnopff, FernandAltenberg, Peter)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 8

Text

ALTENBERG: EIN DECEMBER-ABEND.

träumen sie vielleicht, die sind und
doch nicht sind, von Dingen, die werden
möchten in tausend Jahren — — —!«

Maria legte zärtlich ihre Hand auf
mein Knie, sah mich fragend an.

»Du nimmst ihn ernst?!«

»Ich nehm’ ihn ernst und nicht.
Ich sage: »Ich, ich schreite, fliege
du! Ich will dir nachschau’n, bis du
mir entschwunden — — — und weiter-
schreiten!«

Maria legte ihren Kopf in meinen
Schoß.

Dann sage ich: »Maria, wir könnten
unsere geliebte Beethoven-Todtenmaske
bekränzen. Geben Sie mir die gelben
Narcissen, welche der Dichter uns ge-
spendet hat — — —.«

Und wir machen ein Kränzelein aus
gelben Narcissen und legen es um das
Haupt der edlen Maske. Dann trinken
wir Thee, sprechen gar nichts, rauchen
Golden Cupid. Durch das Fenster hin-
durch sehen wir nichts Rechtes, blicken
lieber vor uns hin. Maria sitzt ganz
nachdenklich, wie Menschen auf Garten-
bänken an lauen Sommerabenden.

Ich aber mache mir zu schaffen,
ordne ein wenig, finde meinen neuen
Hut ganz praktisch, hoffe, dass er die
Form behalte. Dann lese ich, drehe
das Petroleum-Öfchen ein wenig ein,
welches bereits Ekstasen hat, August-
hitze copieren möchte. So vergeht der
Abend, während der Winter in der
Landschaft wüthet und die Ebene hart
bedrängt.

Ich sage zu meiner Freundin: »Was
halten Sie von Ehrgeiz?!«

Sie erwiderte: »Ich weiß es nicht.
Aber es kommt mir vor, als ob man
einen Hemmschuh für ein Beförderungs-
mittel hielte!«

Und ich: »Wenn man ein Bild
malte und man wollte zu einem Ziele
kommen, dann wird es nichts, sicher-
lich nichts. Zu einem bestimmten Ziele
könnte man niemals vordringen. In
gar nichts. Man müsste hingegen ge-
radezu erstaunen, was es geworden ist.
Dann wäre es das Richtige. Man müsste
direct erstaunt sein und verblüfft, dass
etwas sich ereignet hätte gegen uns
selbst!

Ein echter Harzer bricht immer
plötzlich gerade in einem wunderbaren
Geschmetter ab, stellt das Köpfchen
schief und lauscht sich selbst nach.
Ganz erstaunt ist er über sein eigenes
Geschmetter, lauscht wie fremden Tönen
von ferneher. Ja, man müsste erstaunen
können über sich selbst, über fremde
Töne von ferneher!«

Wir saßen nahe dem Petroleum-
Öfchen, wie englische Familienmit-
glieder um den Kamin herum, dachten
wirklich an gar nichts mehr und waren
dennoch nachdenklich, aber zugleich
zufrieden.

Dann sagte ich: »Maria, erinnern
Sie sich noch unserer Festeswoche?!«

»O «, sagte Maria.

»Die Ternina an drei Abenden und
zwei Abende Joachim-Quartett! Schon
des Morgens Montag zogen wir wunder-
bare weiße seidene Kleider an und
schmückten uns mit Veilchen. Wir
thaten sonst nichts den ganzen Tag,
warteten einfach auf den Abend. Die
Ternina kam nach einer längeren Ab-
wesenheit von Gastspielen.

Sie betritt die leere Halle. Sie stand
stille und begrüßte sie. Ernst und
milde, königlich und sanftmüthig zu-
gleich erschien sie uns und wir passten
dazu in unseren Festeskleidern und mit
unseren Herzen, welche seit Morgens
darauf gewartet hatten, dass Ternina-
Elisabeth erschiene in der Halle, in
ihrer königlichen, milden Art!«

Und meine Freundin sagte: »O,
ich erinnere mich. Erzähle, erzähle!«

Ich aber schwieg.

Dann nahm ich das Bildnis der
Ternina hervor, legte es auf meine
Knie, und wir betrachteten es.

Ternina !

Dann drehte ich das Petroleum-
Öfchen wieder stärker auf und das
Wasser im eisernen Reservoire begann
gleich zu rauschen und zu singen, und
es kam süße Wärme auf uns zu. Wir
waren schon ziemlich müde. So saßen
wir nun ganz, ganz schweigsam in dem
warmen Zimmer, während der Winter
in der Landschaft wüthete und die
Ebene hart bedrängte

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 8, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-01_n0008.html)