Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 12

Die Kaiserin Richard Wagner und das französische Publicum (Khnopff, FernandMauclair, Camille)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 12

Text

RICHARD WAGNER UND DAS FRANZÖSISCHE PUBLICUM.
Von CAMILLE MAUCLAIR (Paris).*

Im Augenblick, da Paris durch einen
rauschenden, prächtigen Erfolg das vor-
nehme Unternehmen von Charles La-
moureux belohnt, der das Alter und die
Kränklichkeit überwindet, um »Tristan
und Isolde
« zu geben, dürfte ein deutsches
und im speciellen ein Wiener Publicum
folgende Mittheilungen über die Einführung
des Wagnerismus in die Pariser Concerte
vielleicht mit Interesse lesen, und ange-
sichts der augenblicklichen Triumphe der
»Walküre«, des »Lohengrin«, des »Tann-
häuser«, der »Meistersinger« und endlich
des »Tristan« macht es mir Vergnügen,
ein wenig an die vergangenen Kämpfe
zu erinnern. Ich will nicht bis zur Pre-
mière des »Tannhäuser« unter dem zweiten
Kaiserreich zurückgehen, wo Wagner
hauptsächlich infolge der Intervention der
Prinzessin Metternich bei Napoleon III.
ausgepfiffen wurde. Es soll mir genügen,
meine Erinnerungen aus der Epoche zu
datieren, da der Kapellmeister Pasdeloup
»Rienzi« herausbrachte und seine Con-
certe eröffnete.

Pasdeloup bot das Beispiel eines durch
und durch ehrenhaften Künstlers, der nur
für seine Kunst begeistert war und ihr
seine Kräfte, sein Leben und sein Geld
opferte. Pasdeloup war der erste Kapell-
meister, der in Paris auf den Gedanken
kam, Wochen-Concerte zu schaffen, in denen
er die classischen Meisterwerke zur Auf-
führung brachte und dem Publicum: den
Studenten, kleinen Beamten und sogar
Leuten aus dem Volke Plätze zu sehr
mäßigem Preise bot. Bis dahin waren die
Pariser Concerte sehr theuer, hatten sehr
unregelmäßig stattgefunden und waren der
vornehmen Classe vorbehalten geblieben.
Pasdeloup fasste den schönen Plan, die
Musik nicht allein dieser privilegierten
Elite vorzuführen, sondern der ganzen
Masse des französischen Publicums, indem
er alle Sonntage richtige Musikcurse schuf.

Ihm verdankt man es, dass sich die sym-
phonische Erregung, deren moralische
Folge für die Zukunft heute niemand vor-
aussehen kann, der Empfänglichkeit der
Massen bemächtigt hat. Pasdeloup spielte
Berlioz, Beethoven und so viele andere
mit gutem Willen und einem Muthe, der
nie müde wurde. Er versuchte es, ein
musikalisches Theater mit neuen und
kühnen Tendenzen zu schaffen, doch es
gelang ihm nicht, und der endgiltige
Durchfall des »Rienzi« vollendete seinen
Ruin. Er starb vor Kummer darüber. Ich
wollte vor allem diesem hingebenden, in-
telligenten und leidenschaftlichen Künstler,
der die Triumphe von heute um den Preis
seines Lebens vorbereitet hat, meine Hul-
digungen darbringen.

Die Freunde und Schüler von César
Franck und Emanuel Chabrier im Ver-
eine mit den Dichtern Villiers de l’Isle
Adam
, Stéphane Mallarmé, Catulle
Mendès bildeten in Paris mit den Musik-
freunden, die den Durchfall des »Tann-
häuser« noch nicht verziehen hatten, die
ersten Elemente des Wagner-Publicums.
Sie waren in kleiner Minderheit, studierten
Wagner untereinander, hatten aber keine
Mittel, ihn öffentlich darstellen zu lassen.
Sie mussten erst dem in seiner Zähigkeit,
Energie, Wissenschaft und Leidenschaft
bewundernswerten Manne begegnen, der
Charles Lamoureux ist. Man kann sagen,
Lamoureux hat den Ruhm Wagners in
Frankreich geschaffen. Er nahm die Ver-
anstaltung der Volksconcerte wieder auf,
bildete hier zunächst den Geschmack des
Publicums durch eine systematische Vor-
führung aller großen deutschen Sym-
phonien und erwarb sich eine große Schar
getreuer Anhänger. Die Einführung der
symphonischen Erregung vollzog sich mit
unglaublicher Schnelligkeit. Bis dahin
waren die Franzosen nur sehr mittelmäßige
Musikliebhaber gewesen, die sich jeder

* Aus dem MANUSCRIPT übersetzt von WILHELM THAL.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 12, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-01_n0012.html)