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wege. Der Mensch ist zum Wrack ge-
worden.
Doch ein Gesetz ist es, das alles be-
herrscht. Auf Grund dieses Gesetzes geht
durch die ganze Schöpfung, den Menschen
nicht ausgenommen, ein beständiges rhyth-
misches Schwingen. Schwingung und
Gegenschwingung lösen sich ab in diesem
Gesetz. Auf Zeiten geistiger Verfinsterung
folgen Zeiten geistigen Lichtes.
So weist nun auch eine der eminen-
testen Wahrheitsbewegungen, die Natur-
heilkunde, den Menschen wieder auf seinen
Ursprung, die Natur, das All und das
Eine zurück, ohne das er ein Nichts, ein
Schatten ist; insbesondere erstrebt sie die
Rückkehr zur Natur auf dem Gebiete der
physischen und psychischen Gesundheits-
pflege. Wie weit hatte sich hier die
Menschheit verirrt! Halten wir in der
Natur Umschau, so sehen wir, dass das
Werden, Wachsen und Leben der Ge-
schöpfe, gleichviel, ob Pflanze oder Thier,
nur unter bestimmten Bedingungen, nur
unter der Mitwirkung gewisser Kräfte
geschieht. Fehlt etwas des Nöthigen, so
ist eine Störung (»Krankheit«) die Folge,
bis wieder Harmonie in das System des
Geschöpfes gebracht ist. Dieses Gesetz
ist unumstößlich. Schlimm sah es vor
nicht gar langer Zeit um seine Erfüllung
aus. Gab es ohnehin schon Kranke in
Menge, weil man der Natur den Rücken
kehrte, ihre Gesetze nicht hielt, so wurde
just in der Krankenstube die Unnatur
noch auf die Spitze getrieben. Fenster
und Thüren hielt man verschlossen. Kein
Lüftchen durfte sich regen. Dem Kranken
Wasser zu applicieren, kam einer Tod-
sünde gleich. Selbst Wäschewechsel wagte
man kaum. Statt für innere Reinigung des
Körpers, für regelrechte Blut- und Säfte-
mischung durch natürliche Förderung des
Stoffwechsels zu sorgen, durchseuchte man
ihn mit eitriger Lymphe und giftigen
Arzneien.
Da — es sind nun hundert Jahre
her — wurde auf dem Gräfenberg in
Österreichisch-Schlesien der Bauer Vincenz
Prießnitz geboren. Begabt mit selten
klarem Blick, erkannte er schon als Knabe
die heilende Kraft des Wassers. Er sah
einst, als er das Vieh seines Vaters
hütete, wie ein angeschossenes Reh zu
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einer Quelle im Walde hinkte, dort seine
Wunde badete und nach einiger Zeit
gebessert von dannen gieng. Es kehrte
täglich wieder, um schließlich — völlig
geheilt — nicht mehr zum Vorschein zu
kommen. Das merkte er sich; und als er
sich einmal später im Walde einen Finger
zerquetschte, wurde Wasser und eine
feuchte, mit Wolle bedeckte Umhüllung
sein Heilmittel. Damit war der erste
»feuchte Umschlag« gemacht. Später, als
er 16 Jahre alt war, rettete ihm das
Wasser Gesundheit und Leben. Einst
scheuten seine Pferde; von seinem schwer
beladenen Erntewagen überfahren, wurden
ihm mehrere Rippen gebrochen. Bewusst-
los ward er aufgehoben. Die Ärzte gaben
ihn verloren. Wieder zu Bewusstsein ge-
langt, warf er aber die von ihnen ver-
ordneten warmen Umschläge beiseite,
richtete sich selbst, so gut er es ver-
mochte, an einem Stuhl seine gebrochenen
Rippen wieder in die rechte Lage und
bedeckte sich seine kranke Brust mit
einem feucht-kühlen Umschlag, den er
von Zeit zu Zeit erneuerte. Der Erfolg
war innerhalb kurzer Zeit erstaunlich.
So konnte es nicht ausbleiben, dass Prieß-
nitz das Wasser auch an anderen Kranken
versuchte. Und bald erfreute er sich eines
weit ausgebreiteten Rufes.
Wir dürfen uns über Prießnitzens Ruf
und Erfolge nicht wundern; er war ein
naturgeborenes Genie — und die Natur
sein Heilmittel. Prießnitz verwendete aller-
dings »nur« das Wasser. Aber welche
heilende Kraft in diesem wohnt, zeigten
die Erfolge. Nach Hunderten, ja nach
Tausenden zählten die Kranken, die ihn
aus aller Herren Länder umgaben. Doch
hat er die heilende Kraft der Natur noch
nicht in ihrer ganzen Größe erfasst. Sein
Verdienst war, dass er der verirrten Mensch-
heit den matten Blick wieder zu Wahr-
heit und Einheit — und damit zum ein-
zigen und unerschöpfbaren Quell von
Kraft und Gesundheit gewandt hat. Groß
war diese That, wenn man bedenkt, in
welcher geistigen Finsternis die Menschheit
damals versunken war, und mit welchen
Vorurtheilen und Feinden Prießnitz den
Kampf zu bestehen hatte. Und damit war
der Anstoß zur Reform gegeben. Was
Prießnitz noch nicht thun konnte, führten
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