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Großstädten, in denen einer dem andern
die Luft verdirbt, ist die Erfüllung dieser
Forderung unmöglich. Der »Zug zur
Stadt« hat die Städte groß gemacht,
die Flucht aufs Land wird die Groß-
städte wieder entvölkern. Denn größer
als der Trieb, das Leben zu genießen,
ist der Trieb, es zu erhalten. Centren
für geistiges und wirtschaftliches Leben
werden die Großstädte trotzdem bleiben.
Aber die Flucht aufs Land hat bereits
begonnen und wird andauern. Wieder
badend im Lebensäther, werden die
Menschen gesünder, und im Verkehr mit
der Natur auch natürlicher, einfacher, zu-
friedener, glücklicher werden. Das Hasten
und Jagen wird sich legen und damit die
Nervosität. Unsere falsche Cultur wird zu
einer wahren werden; denn die Natur ist
wahr, und niemand, der mit ihr Umgang
pflegt, kann ihrem Einfluss entgehen.
Der Mensch soll ferner Bewegung
machen. Nun, von der Naturheilbewegung
belehrt und getrieben, laufen, radeln, rudern
heute viele, die ehedem in der Stube
hockten. Der größte Feind des Lasters
und der Sinnlichkeit ist ergiebige Be-
wegung des Körpers. Der Mensch soll
sich auch naturgemäß nähren. Die Natur-
heilbewegung verwirft alle unnatürlichen
Reizmittel und Gewürze, vor allem die
geistigen Getränke. In den Jahren 1877
bis 1885 wurden den Krankenhäusern
Preußens 38.026 Personen wegen Säufer-
wahnsinns überwiesen; Deutschland gibt
für geistige Getränke alljährlich bare
Mark 3.500,000.000 aus. Wie viel Jammer
liegt in diesen Zahlen, wie viel Noth, Ver-
dummung, Pflichtverletzung und Ver-
brechen! Welcher Fortschritt ließe sich
durch diese Gelder fördern, welcher Segen
stiften! Wahrlich, die Menschheit von den
geistigen Getränken befreien, würde allein
schon eine social erlösende That bedeuten,
eine That, die von den eigentlich dazu
Berufenen, von den Socialpolitikern heutigen
Schlages, wie Bebel und Genossen kürzlich
auf dem Socialistencongress und jetzt im
Deutschen Reichstag bewiesen, leider nicht
zu erwarten ist. Weil nun aber die Natur-
heilbewegung die in der Ernährung un-
natürlichen Reize überhaupt verwirft, führt
sie auch zur Mäßigkeit, einer Tugend,
die den Leib bei Gesundheit, den Beutel
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bei Cassa erhält und auch den Charakter
von Grund aus hebt. Ob auch das Fleisch-
essen überhaupt zu verwerfen ist, wie es
viele fordern, mag hier ununtersucht
bleiben. Es unterliegt jedoch keinem
Zweifel, dass übertriebenes Fleischessen,
wie es vielfach geübt und selbst von der
Wissenschaft gefordert wird, schädlich
ist. Zweifellos liegt auch im Vegetarismus,
dessen praktische Durchführbarkeit ganze
Völker beweisen, hoher sittlicher Wert.
Der segensreiche Einfluss der Natur-
heilbewegung auf Cultur und Geistesleben
ließe sich vom Standpunkte der Gesundheits-
pflege aus noch weiter verfolgen. Hier
mag das Gegebene genügen. Wir wenden
uns nun noch in Kürze anderen Ge-
bieten zu.
Eingangs unserer Betrachtungen haben
wir gesehen, dass der Mensch einst aus-
schließlich unter den natürlichen, ur-
sprünglichen Eindrücken stand. Er empfand,
erlebte alles selbst, lernte wenig oder nichts
durch Hörensagen und gar nichts aus
Büchern. Dabei war er groß, stark, gesund,
schön, großer Gedanken fähig und ge-
müthstief. Er lernte beobachten, denken,
Ideen formen und begann zu überliefern.
Heute wachsen wir fast nur noch in
fremden Überlieferungen auf. Zwischen
Mauern eingeengt, in Schule und Haus,
ist man immer nur bestrebt, das Ge-
dächtnis mit fremden Dingen zu füllen.
Was sich das Kind dabei denkt, ja, ob es
überhaupt denkt, darauf kommt es wenig
mehr an. Auf höheren Schulen, sagt man
sogar, sei eigenes Denken verboten. Die
Hauptsache ist das Wissen und allenfalls
noch der Verstand. Allerdings ist Wissen
und Denken nöthig; denn nur wissend
und denkend können wir uns und die
Natur erkennen, den Weg zur Wahrheit
finden und Menschen werden. Alles Über-
lieferte und Gedachte aber ist für den
Menschen gemeinhin ohne eigene Kraft
und daher für sein Sein und Werden von
geringem Werte. Einem Kinde wird der
Wald in der Schule beschrieben, einem
anderen wird der Wald in seiner Majestät
und Schönheit gezeigt. Das eine nimmt
nur Eindrücke auf, denen es selbst erst
Kraft und Leben geben muss auf Grund
der Dinge, die es vordem selbst erlebt
hat. Das andere empfindet selbst; damit
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