Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 25

Die Kaiserin Philharmonische Concerte (Khnopff, FernandGraf, Max)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 25

Text

GRAF: PHILHARMONISCHE CONCERTE.

so werden die Werke Mozarts ferner,
nein, höher gerückt. Alle Sentiments des
spätgeborenen, modernen Künstlers helfen
an diesen Mozart-Aufführungen mit: Sehn-
sucht nach der göttlichen Naivität, Rührung
über die reine, primitive Seele, die Ironie
des complicierteren Enkels, artistisches
Raffinement, die Bewusstheit des histo-
rischen Menschen, die feinsten Zärtlichkeiten
einer übercivilisierten Natur, das Heim-
weh nach idyllischem Glücksgefühl. Die
stärksten Kräfte, die tiefsten Sehnsuchten
und das reifste Kunstwissen einer Zeit
müssen zusammenstoßen, um derartige
Mozart-Aufführungen herauszubringen, wie
sie unter der Leitung Gustav Mahlers
stattfinden; und was schliesslich als voll-
kommene Naivität und Reinheit erscheint
und wirkt, ist das Product der höchsten
Compliciertheit und Künstlichkeit des Zeit-
empfindens.

Wie weit aber muss sich eine Zeit
von der Welt Mozarts entfernt haben,
wenn sie erst aus derart zusammen-
gesetzten Sentiments heraus den Weg zu
ihr wieder findet? Deshalb auch die wunder-
volle Stilisierung jener Aufführungen, welche
die Werke Mozarts gleichsam in weiter
Ferne in den Wolken schwebend, zeigt,
von der Abendsonne einer alternden Cultur
beschienen, die jedes Eckchen und jedes
Schnörkelchen vergoldet.

Dies ist die eine Erziehungsaufgabe,
welche Mahler in den philharmonischen
Concerten leistet, dass er die Werke der
Classiker aus dem Empfinden, der seelischen
Organisation, der Compliciertheit der Gegen-
wart heraus verstehen lehrt. (Es war
Nietzsche, der es zuerst aussprach, dass
»Beethoven, historisch vorgetragen, nicht
zur Seele der Gegenwart, sondern ge-
spenstisch zu Gespenstern reden würde«.)
Soll diese Aufgabe eine fruchtbare sein,
so muss sie sich mit einer zweiten ver-
binden: der intensiven Pflege moderner
Production, die uns die Zusammenhänge
zwischen der alten und neuen Kunst
offenbart.

Die Aufgaben, die sich dem modernen
Künstler als Dirigenten der philharmo-
nischen Concerte darbieten, sind solche
allerhöchster Art. Sollen sie gelöst werden,
so bedürfen sie noch zur Unterstützung
einer Schar kritischer Geister, die, mit der

Empfindungswelt, den technischen Mitteln
und den treibenden Kräften der neueren
Musik vertraut, das Publicum aus der
Verwirrtheit der ersten Eindrücke zur
klaren und besonnenen Betrachtung zu
leiten vermögen. Kritiker, die nicht ihren
höchsten Stolz dareinsetzen, wie Gym-
nasialprofessoren Censuren auszutheilen,
sondern Wissende, Interpreten und Dol-
metsche des Künstlers zu sein. Bei der
vorjährigen Aufführung der C-moll-Sym-
phonie von Gustav Mahler, noch mehr aber
bei der diesjährigen, der symphonischen
Dichtung »Aus Italien« von Richard
Strauß, hat es sich gezeigt, dass die
Wiener Musikkritik diesen Aufgaben nicht
gewachsen ist. Für die Beurtheilung des
Mahler’schen Werkes hat den Kritikern
die politische Partei-Angehörigkeit der
Tagesblätter noch einen sicheren Stütz-
punkt geboten (es gab nämlich rituelle
und nicht-rituelle Kritiker dieses Kunst-
werkes); bei dem Werke von Strauß dagegen
herrschte eine allgemeine Desorientierung.
Conservative und fortschrittliche Recen-
senten schlossen sich zu einer großen
opositionellen Phalanx zusammen, und wo
das Verständnis fehlte, dort stellten sich
zur rechten Zeit die Witze ein. Sagen
wir es offen: es hat sich eben deutlich ge-
zeigt, dass selbst das siegreiche Wagnerthum
bereits zu den conservativen Kräften der
Gegenwart zählt, nicht mehr zu den
lebenden und revolutionären, und dass der
modernen Musik Anti-Wagnerianer wie
Wagnerianer gleich fremd gegenüber-
stehen

Das Werk von Rich. Strauß ist des-
halb so interessant, weil es — ein Erst-
lingswerk — deutlich zeigt, wie sich die
neuen Triebe vom Wurzelwerk der alten
Kunst losringen. Von Satz zu Satz wird
die Kraft freier. Im ersten Satze (»Auf
der Campagna«) fügt sie sich noch in die
alten Formen, sich freilich schon in wunder-
baren Klängen und Accordfolgen offen-
barend. Im zweiten Satze (»In den Ruinen
Roms«) treibt sie gleich das glänzende
Trompetenmotiv, welches Großes (den
»Zarathustra«) verheißt, prachtvoll kühn
empor. Im dritten Satze (»Am Strande
von Sorrent«) breitet sie sich aus, wird
rein und hell; Melodien von zartester In-
timität, Stimmungen von wunderbarer

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 25, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-01_n0025.html)