Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 26

Die Kaiserin Philharmonische Concerte (Khnopff, FernandGraf, Max)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 26

Text

KUNST.

Innerlichkeit dringen ans Ohr. Der große
Orchester-Apparat wird aller Schwere be-
raubt, die Stimmen in Luft und Licht
getaucht Im letzten Satze (»Nea-
politanisches Volksleben«) werden alle
Kräfte des freien Gestaltens entbunden.
Eine geniale Improvisation weiß die
tollsten Geräusche der Straße musikalisch
zu bändigen. So geht das Werk in immer
wachsender Freiheit, Sensibilität, Kraft
und Originalität den Weg von der Ver-
gangenheit zur Zukunft

Die Thätigkeit Gustav Mahlers als
Dirigent der philharmonischen Concerte
scheint mir also nach zwei Seiten hin
bedeutungsvoll: er erzieht das moderne
Empfinden der Hörer einerseits durch
vollendete Aufführungen von Werken der
neuen Künstler und andererseits durch
die Classiker-Aufführungen, die aus der Ge-
fühlswelt der Gegenwart heraus wieder-
gefunden werden. Es ist Ein Strom, aus
dem der Künstler schöpft, Ein Strom, in
dem die Fluten des vergangenen und des
gegenwärtigen Lebens sich vereinigen.

KUNST.

Wiener Wohnräume. — Wie viel
ein Mann in officieller Stellung wirken
kann, wenn er ausnahmsweise etwas
versteht und seine Macht im Sinne der
Entwicklung anwendet, das zeigt sich
von Jahr zu Jahr deutlicher in den Aus-
stellungen des Österreichischen
Museums für Kunst und Industrie
.

Das halbe Haus ist diesmal angefüllt
mit modernen Arbeiten. Und nicht nur
Prunkräume und Luxusgegenstände sind
da; die Arbeiter-Wohnräume (Zimmer-
einrichtungen um den Preis von hundert-
fünfzig Gulden für Arbeiter) in den rück-
wärtigen Sälen des Erdgeschosses sind
das weitaus wichtigste Resultat der bis-
herigen Entwicklung. Hier ist fast alles
gut. Denn hier führen die Tischler das
Wort, in einer Sache, die ihrem Ver-
ständnis offenliegt. Ein Tisch, ein Schrank,
ein Bett, einfach, praktisch, aus solidem
Material: fast so einfach ist die Aufgabe,
wie die, vier Bretter und zwei Brettchen
zu einem Sarg zusammenzuschlagen. Der
erstprämiierte Entwurf — von dem Kunst-
Gewerbeschüler Sumetzberger — zeigt
einen klaren Kopf und eine geschickte
Hand. Drei der Einsender: Járay, Pos-
pischil und Niedermoser haben dieser
Bretterwelt sehr gefällige Umrisslinien
und einfache, geschnitzte oder ausgesägte
Ornamente gegeben, so dass sie gewiss

auch manchem Vermögenden begehrens-
wert erscheinen mag.

In den Intérieurs der eigentlichen
»Winterausstellung« steckt eine Un-
summe von Arbeit und Erfindung, die
überrascht, erdrückt, doch nicht befriedigt.
Da ist vor allem Olbrich, der unser
Empfinden vergewaltigt. Es ist kein Zufall,
dass gerade er nach Deutschland berufen
wurde; denn trotz Wiener Schule ist
er ein Deutscher geblieben. Außen- und
Innen-Architektur sind in ihrer gewollten
Originalität eckig, absichtlich. Als sein
Secessionsgebäude erstand, galt es, für
die neue Kunst Bresche zu schlagen;
darum durfte jeder Tadel als philister-
haft niedergedonnert werden. Aber
heute müssen wir schon unparteiisch sein:
es ist plump, gemacht, unwienerisch; so
Mauerwerk, wie Pylonen und Laubkuppel.
Auch sein Intérieur im Museum, von
Ungethüm sehr gewandt und adrett
ausgeführt, ist nach Berlin an Hirschwald
verkauft. Die abgeschrägte Kaminecke,
der gehäufte Schreibtisch, der sich ins
Zimmer drängt, die breitspurigen Blumen
und Blätter in Application und Intarsia,
die ihr »Wir sind da!« rufen, — — all
dies muss verstimmen. Und dann ist jeder
Fleck im Kaum festgenagelt, der Bewohner
darf nicht muksen. So ein Zimmer besitzt
man nicht; das Zimmer hat den Be-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 26, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-01_n0026.html)