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brütend hinein. Durch die hellen Stuben
dringt Kinderlachen, draußen in dem
blumensprühenden Garten lächelt das
lieblichste Bild des Friedens: eine alte,
taube Großmutter, umgeben von Enkelchen,
die Blumen pflücken und nach Schmetter-
lingen haschen. Alles ist Sonnenglanz,
Wohlstand, heiteres, fruchtbares Leben,
gesättigtes Glück. Dann tritt die junge
Frau, strahlend von Anmuth und Frische,
ihr jüngstes Kind im Arm, in den
sonnenschimmernden Garten, das Licht
umspinnt ihr goldenes Haar und das rosige
Kind; sie steht da wie die reine Madonna
der Mutterfreude. Und der wunderbare
Fremde, ergriffen von dem Anblick, geht
zu ihr hin und drückt ihre Hand an seine
Lippen Etwas Unbeschreibliches
gleitet über ihre Züge, sie scheinen allen
Glanz zu verlieren, zu verwelken, zu er-
starren Der Kuss, den der Fremde ihr
gegeben, war ein tödtlicher, er führt
unheilbare Krankheit in seinem Hauch,
eine bange Ahnung beschleicht alle
Gemüther.
Der unerbittliche Fremde verfolgt
nämlich nur ein Ziel in idealer Un-
beugsamkeit: Er will seinen Egidius durch
das Außergewöhnliche, das Größte im
seelischen Leben läutern, dem Ewigen
näherbringen. Sein Dasein darf nicht, von
irdischer Schwere bedrückt, an einem
Glücke festkleben, das durch seine tägliche
Beständigkeit ihm fast zur Gewohnheit
geworden ist, wie die Gesundheit, die man
zuletzt nicht spürt, wenn man sie jeden
Tag ungestört genießt. Und das Größte, was
eine Menschenseele aus ihrem Schlummer
aufraffen kann, ist der gewaltige Schmerz,
der ihr irdisch alles nehmen muss, um
sie dann allein mit sich selbst und dem
Ewigen zu lassen.
Die junge Frau muss sterben, auf
dass Egidius ganz lebe, ganz Angesicht
zu Angesicht mit dem Ewigen zur Wahr-
heit des Unendlichen gelange. In Ibsens
»Brand« klang das »Alles oder Nichts«
als eine moralische Forderung, die der
christliche Fanatiker seiner eigenen Gattin
zurief, da sie noch an den irdischen Reli-
quien ihres todten Kindes hieng. Sie soll
opfern, opfern — nichts Irdisches be-
sitzen, um alles himmlisch zu gewinnen.
Hier ist das »Alles oder Nichts« eine rein
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intellectuelle Forderung an den geistigen
Übermenschen, der die Last der irdischen
Empfindungs-Beschränktheit, der tausend
Relationen abwerfen muss, um in das
Absolute hinüberfließen zu können. Mit
unendlichem Schmerz, fast mit Leiden-
schaft schildert Egidius im Schlusse des
Werkes die Vision des »Bedrückenden«,
des »kleinlich Dunklen« in seinem Leben,
das durch den Tod seiner Frau zur ge-
waltigen Herrschaft über ihn gelangt ist.
»Als du kamst,« sagt er zu dem
Fremden, »öffnete die Thüre meiner
engen Zelle sich weit einem Ocean von
Licht und Glanz. Und meine Augen
wollten immer mehr und mehr in die
Pracht dieser wunderbaren Welten hinein-
dringen. — — Aber dann kam sie —
die dunkle Vision — von weitem. — —
Zuerst war sie ganz klein wie ein
schwarzer Flecken auf dem lichten
Himmel dort, dann näherte sie sich, wuchs,
wuchs mit dunklem Antlitz, drohend,
mehr und mehr das Lichtmeer ver-
bergend. — Ihr Schatten glitt in meine
Zelle hinein, warf Nacht um sich herum
und hüllte Himmel und Horizont in die
Falten ihres dunklen Mantels ein. — Und
die Stimmen draußen verstummten, das
Licht erlosch, ich sah nur die unbeug-
same Gestalt, ich hörte nur das Schweigen,
voll Drohungen. — — Und jetzt ist sie
da: Stumm, gross, die Thüre zu meiner
dunklen Zelle sperrend. Mit schweigender
Geberde hat sie alle Ausgänge ver-
schlossen. — Ich flüchte mich ins Dunkel,
um der finsteren Starrheit ihres Wesens
zu entschlüpfen, die mich wie ein
drohendes Auge hinter langen Trauer-
schleiern verfolgt. — Nichts existiert
mehr für mich!«
Aber der Fremde tritt ihm donnernd
in den Weg.
»Betrachte sie!«
Egidius: »Das kann ich nicht.«
Der Fremde: »Du kannst es! — Denn
ihre Augen sind ohne Glanz. Das Dunkel
kannst du immer betrachten, nur ins Licht
kannst du nicht sehen. — Betrachte sie!«
Und durch die magische Kraft dieser
Worte gestärkt, sitzt Egidius lange
brütend allein, bis die finsteren Schatten
weichen, alle irdischen Fesseln lösen sich
von ihm langsam selbst das bleiche,
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