|
Ordnung. Ich gieng zu Belikoff hinein;
er lag hinter seinem Bettvorhang, die
Decke ganz heraufgezogen und schwieg.
Auf meine Fragen antwortete er nur mit
»ja« oder »nein«, sonst gab er keinen
Laut von sich. Er lag ganz still und
Athanasius irrte in der Wohnung umher,
seufzte und verbreitete einen Schnapsgeruch
wie eine Schenke.
Nach einem Monat starb Belikoff. Wir
geleiteten ihn alle zu Grabe, das heißt:
beide Gymnasien und das Seminar. Jetzt,
wie er im Sarge lag, war der Ausdruck
seines Gesichtes sanft, angenehm, sogar
heiter; es war, als freute er sich, dass
man ihn endlich in ein Futteral gelegt,
aus dem er niemals mehr herauszukommen
brauchte. Er hatte die Verwirklichung
seines Ideals erreicht! Gleichsam wie
um ihm die letzte Ehre zu erweisen, war
bei seiner Beerdigung das Wetter trüb,
regnerisch, so dass wir alle Regenschirme
und Galloschen trugen. Warinka nahm
auch an der Beerdigung theil, und als der
Sarg in die Gruft hinabgesenkt wurde,
fieng sie zu weinen an. Ich habe die Be-
obachtung gemacht, dass die Kleinrussin-
nen entweder lachen oder weinen; eine
mittlere Stimmung gibt es bei ihnen nicht.
Ich muss gestehen, dass es ein
großes Vergnügen ist, solche Leute wie
Belikoff zu Grabe zu geleiten. Als wir
vom Friedhofe zurückkehrten, hatten wir
alle bescheidene Fastengesichter; keiner
wollte das Gefühl der Befriedigung, das
er hegte, dem andern offenbaren. Dieses
Gefühl war ähnlich demjenigen, das wir
als Kinder alle gehabt, wenn die Er-
wachsenen ausgegangen oder ausgefahren
waren und wir uns stundenlang im Garten
getummelt, die Freiheit genossen hatten.
Aber kaum war eine Woche vergangen, so
floss unser Leben dahin wie immer;
es blieb so hart, so ermüdend, eintönig
und sinnlos, wie es gewesen, durch kein
Circular verboten, aber auch durch keine
Verfügung im vollen Umfange gestattet.
Besser wurde es nicht; denn den einen
Belikoff hatten wir zwar begraben, aber
wie viele solcher Futteralmenschen be-
hielten wir noch unter uns, und wie viele
von der Sorte werden noch leben!«
»Das ist es ja eben!« sagte Iwan Iwa-
nowitech und rauchte seine Pfeife an.
|
»Und wie viele von der Sorte wird
es noch geben!« wiederholte Burkin.
Dabei trat der Gymnasiallehrer aus
dem Schuppen heraus. Es war ein Mann
von untersetzter Gestalt, vollkommen kahl-
köpfig und mit einem fast bis zum Gürtel
reichenden schwarzen Barte. Mit ihm
kamen seine beiden Hunde heraus.
»Ach ja, der Mond!« sagte er, indem
er in die Höhe blickte.
»Nun eben!« meinte Iwan Iwanowitsch,
»und dass wir in den engen, dumpfen
Städten leben, irgendwelche unnöthigen
Papiere ausfüllen, Karten spielen — ist
das etwa kein Futteral? Dass wir unser
ganzes Leben im Kreise von Nichtsthuern,
Intriguanten, müßigen und beschränkten
Weibern zubringen, allerlei Blödsinn an-
hören und selber schwatzen, ist das kein
Futteral? Wenn Sie wollen, erzähle ich
Ihnen auch eine sehr lehrreiche Geschichte.«
»Nein, jetzt ist es Zeit, zur Ruhe zu
gehen!« sagte Burkin: »lassen wir’s bis
morgen«.
Beide giengen in den Schuppen und
legten sich aufs Heu. Schon waren sie
eingeschlummert, als man leichte Schritte
in der Nähe vernahm, die bald erklangen,
bald erstarben. Die Hunde wurden unruhig.
»Das ist Mawra!« sagte Burkin.
Die Schritte verhallten wieder.
»Man muss sehen und hören, wie die
Leute lügen,« sagte Iwan Iwanowitsch
und drehte sich auf die andere Seite
herum, »und muss sich einen Narren
nennen lassen, weil man diese Lügen
erträgt, sich Beleidigungen, Demüthigungen
gefallen lässt und nicht offen bekennt,
dass man auf der Seite der ehrlichen,
freien Menschen steht; man lügt selber,
man lächelt, und das alles um das Stückchen
Brot und den warmen Winkel zum Unter-
schlupf, um ein elendes Ämtchen, das
keinen Groschen wert ist. Nein, es ist
doch unmöglich, so weiterzuleben!«
»Nun, das ist aber schon aus einer
anderen Oper, Iwan Iwanowitsch,« sagte
der Lehrer. »Jetzt wollen wir schlafen!«
Nach einigen Minuten lag Burkin in
tiefem Schlaf; aber Iwan Iwanowitsch
wälzte sich hin und her und seufzte.
Dann stand er auf, gieng wieder ins Freie
hinaus, setzte sich an die Thür und zündete
seine Pfeife an
|