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die Seele wächst. Seine »Eisenbahn am
Abend« ist mir in ihrer echarpierenden
Wirkung der drastischeste Beleg für jene
seelische Vibration, die durch den latenten
Schwingungstrieb erlauchter Linien in
unserem Innern geweckt wird.* Einöde,
Feld, darüber das rußige Abenddämmer;
die Curve eines Bahngeleises schneidet
sich, herrlich geschwungen, in das Zwie-
licht; zwei Signallampen rattern heran,
lautlos, dann lauter; der Schattenriss eines
Ungethüms wälzt sich schwarz vor ihnen
her: die Locomotive zerreißt den Abend!
Man kann nicht knapper, nicht spannender,
nicht erschütternder sein! Die Leiden
Christi, in ihren Stationen abgewandelt,
lassen heute recht kalt — — hier aber
ist viel Mächtigeres für unsere Sinne
zu holen Ähnlich kommt Wilhelm
Laage. Ein Zug fährt »durch die
Heide«.** Endlos, in gerader Linie die
Schienenstränge; daneben in hohen Linien
die Telegraphen-Stangen; rechts, links
wild aufgeworfenes Hügelland; Horizont,
Scholle, Schornsteindampf verschwimmen
in grauer Brandung. Der Train, der
schwarz nach vorwärts strebt, das Schienen-
paar, das tief nach rückwärts strebt,
bringen — wie zwei entgegenwirkende,
fast gleiche Kräfte — eine Spannung in
das Blatt, die jeden Augenblick sich ent-
laden kann. Das ist Geometrie, die auf
die Nerven geht! Von starker Eigenart
scheint auch Karl Hofer, der sich an
seiner derbknochigen Phantastik gar
teuflisch zu ergötzen weiß; in den litho-
graphischen Zerrspiegeleien Toulouse-
Lautrecs mag er sein wälsches, doch weit
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perverseres Gegenstück finden. Genannt
seien ferner: Graf Kalckreuth und
Carlos Grethe, deren Meisterschaft längst
feststeht und die sich (wie unter den
Deutschen sonst noch Hans Thoma und
der Münchener Fritz Burger) hauptsächlich
mit Figürlichem befassen, — Heinrich
Heyne, dessen virtuoser »Flötenspieler«**
ein Lied von L. v. Hofmann bläst, das
übrigens auch von Thoma instrumentiert
sein könnte, — Wilhelm Wulff, der in
seiner »Feuersbrunst« ** die gewagtesten
Farbenprobleme löst, — E. R. Weiß,
der in „Quare tristis es, anima mea?“
die Qualen seelischer Zerrissenheit
frei nach Toorop zu dissonierenden
Linien verdichtet, — — namentlich aber
und in besonders nachdrücklicher Weise
sei (neben Friedrich Kallmorgen, der
manche Ähnlichkeit mit ihm hat) auf
Hans v. Volkmann verwiesen, der in
einer Überzahl der gefälligsten Blätter
von seiner lieblichen Spielmannsweise und
Spielschachtel-Technik nicht lassen will,
Birkenstämme, Eschen-Alleen, Vorfrühlings-
duft und -Dämmer mit melodischer An-
muth in schlichte, gleichsam transparente
Farben umsetzt und mit einer so rührenden
Anhänglichkeit und Treue stets von neuem
variiert, dass alle, die von den Blendern
und Scheinwerfern des Auslands das ganze
Jahr hindurch irritiert wurden, für solch
innige Laute Dank wissen werden. Vielleicht
aber findet sich erwünschte Gelegenheit,
auf einzelne der hier berührten Persön-
lichkeiten des ausführlicheren einmal zurück-
zukommen.
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