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Es liegt weit mehr in der japanischen
Kunst als nur die decorative Größe, welche
man ihr zuerkennt. Gewiss ist sie decorativ
im edelsten, schönsten Sinne des Wortes.
Doch ist dies nicht ihres Wesens tiefster
Sinn. Was dieser Kunst Größe und Be-
deutung gibt, ist die Erhabenheit ihrer
Natur-Auffassung. Die organische Gliede-
rung des All ist ihnen eine Offenbarung,
das Walten der Natur ihre eigentliche
Religion. Das große Mysterium, alles
Werden und Sein belauschen sie mit
heiliger Liebe an den minimsten Er-
scheinungen des pulsierenden Lebens.
Schönheit ist ihnen der Sonnenball; aber
auch Schönheit der schwankende Halm,
Schönheit die sich mühende Ameise. Den
Sinn alles Lebenden zu erfassen — die
Elemente in ewiger Bewegung; das Leben
in stetem Drängen und Werden; alle
Daseins-Möglichkeit in steter Bethätigung,
im immerwährenden Wechsel, im Knospen
und Sprießen, im Fliegen, Laufen und
Gleiten — dies ist der innerste Kern der
japanischen Kunst-Entwicklung.
Alles Wesenhafte ist gleich be-
deutungsvoll. Aus diesem Glaubenssatz
entspringt die merkwürdige Einheit, Logik
und Harmonie, welche alle Werke der
japanischen Künstler auszeichnen. Es gibt
für sie weder minderwertige Natur noch
minderwertige Kunst. Die angewandte
Kunst bildet einen unlösbaren, inte-
grierenden Theil der sogenannten schönen
Künste. Denn auch diese dienen vor allem
den Gebräuchen, Sitten und Forderungen
des nationalen Lebens. Architektur, Sculptur,
Malerei, sie führen kein abgesondertes Aristo-
kraten-Dasein — sie passen sich der all-
gemeinen Disciplin einer »Kunst für alle«
auf das genaueste an.
Vor allem ist der japanische Künstler
Zeichner und Maler. Dann erst wird er
Töpfer, Bronzegießer, Schnitzer oder Lack-
Arbeiter. Ob er nun seine Empfindung
malerisch in einem Bilde ausleben lässt;
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ob er in emsiger Geduld während vieler
Monate an einem Gürtelknopf (Netzké)
schnitzt — die eine Kunstübung ist eben-
so vornehm, wahr und empfunden wie
die andre. Kunsthandwerk und Kunst
sind nicht in Rangsclassen geschieden.
Zu solcher Höhe moral-ästhetischer Em-
pfindung gelangt aber der schaffende
Künstler nur dann, wenn er einem Volke
entspringt, dessen Schönheitsgefühl so un-
endlich ausgeweitet, so intensiv verinner-
licht ist, dass es Kunstäußerung fordert,
auch bei den einfachsten Bedingungen
des Alltagslebens, wenn Kunstgenuss von
Kunstübung einer einheitlichen Empfin-
dung entströmen, bei welcher nur das
Gestaltungsmoment dann den Schaffen-
den vom Genießenden unterscheidet.
Der japanische »kleine Mann« empfindet
Schönheit auch in seiner ärmlichen Hütte.
Mit zärtlicher Sorgfalt prüft er das zart
geschnitzte Pfeifchen, mit Wohlbehagen
ruht sein Auge auf dem Tsibatschi (Kohlen-
becken), und befriedigt fühlt er sich durch
die Wirkung des Blütenzweiges, welchem
er Form und Sinn gab. — In nichts
unterscheidet sich von ihm der vornehme
Mäcen. Auch dieser liebt es, in stilles
Genießen zu versinken. In sicherem Ver-
schluss eines festgemauerten Magazins,
welches Erdbeben und Feuersbrunst —
diese Zerstörer japanischer Heimstätten —
trotzt, bewahrt er seine Kunstschätze. Nicht
wie bei uns im wüsten Durcheinander
lässt er die Wirkungen sich kreuzen und
zersplittern. Einzeln, täglich wechselnd,
will er Schönheitsschauer fühlen. Täglich
schmückt er sein Gemach mit einem
Wandbild (Kackemono), das seiner Stim-
mung, einem Festtage oder der Jahreszeit
sich anpasst. Er wechselt die mannig-
fachen Blumenbehälter, die Rauchgefäße
und Theegeräthe. Und an Tagen besonderer
Begeisterung feiert er ein Tha-no-yu, ein
Theefest. Geräthe, von Meistern geformt,
dienen dazu; und andachtsvoll sitzt eine
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