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Reinheit und Energie wachsen zu lassen,
und ebenso muss es ihm gelingen, bei aller
Intensität des Ausdruckes dem Ganzen doch
den Charakter des Traumhaften, des Spieles
zu bewahren. Dass dem Künstler in beiden
Dingen fast nichts misslungen ist, charak-
terisiert am besten seine artistische Kraft.
Alles, was in ihm an zärtlichen und sensi-
tiven Gefühlstönen liegt, hat er seiner
Heldin zuströmen lassen und sie mit
einer Fülle empfindsamer und sehnsüchtiger
Motive und Melodien umgeben, denen
es bei aller Weichheit nicht an einer tiefen
Stärke fehlt. Nichts ist an der Melodik
Zemlinskys merkwürdiger, als der hohe
Grad von Sensitivität, bei vollständigem
Mangel an schwächlichen Empfindungs-
elementen und an jeder Hyperthrophie
der Gefühlsschwelgerei. Alles klingt discret,
vornehm, gedämpft. Seiner Heldin und
ihrer Wandlung hat der Künstler alle
Liebe zugewendet; alle anderen Figuren
werden, wenn’s noth thut, mit ein paar
kräftigen Motiven aus dem Dunkel heraus-
gehoben. Die Heldin ist die einzige Figur,
die stets im Licht wandelt Das
Orchester gibt dem Ganzen den Reiz des
Märchenhaften. Es nimmt den Dingen
ihre Schwere und gibt ihnen zärtliche
und weiche Klänge. Auch im Orchester
herrscht, bei aller Compliciertheit, eine
noble Vergeistigung Die Ein-
leitungsscenen des dritten Actes beweisen,
dass der Künstler, wenn es sich um
volksthümliche Wirkungen handelt, kräftig
und energisch zuzugreifen weiß. Sein eigent-
liches Reich aber ist die Schilderung zärt-
lichen Sentiments, sehnsüchtiger Stim-
mungen. Der schwermüthig-heitere Reigen
der Mädchen im ersten Acte ist ein
Meisterstück dieser Kunst; heiter und an-
muthig-bewegt dahingleitend und doch
von leiser Trauer berührt; im Orchester-
glanze flimmernd und doch im Tone ge-
dämpft Director Mahler hat die
Oper mit feinster Empfindung für die
Schönheit des Werkes herausgearbeitet.
MAX GRAF.
Raimund-Theater: Ferdinand
Bonn. — Tüftelnde und schnüffelnde
Intelligenz hat man Ferdinand Bonn zum
Vorwurf gemacht, als er unlängst den
Hamlet spielte. Er leime und klebe, rief
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man, wo er aus einem einzigen Stücke
schnitzen müsste; er gieße aus Tassen
und Tiegeln, wo aus dem Vollen zu
schöpfen wäre. Viel Verstand, viel Talent,
viel praktische Routine, wenig Gemüth,
wenig Herz, wenig seelische Ehrlichkeit
— das ist der Tenor aller übernächtigen
Urtheile, die in den letzten Tagen zu
lesen waren. Darin mag nun die Wiener
Kritik, so anödend auch ihre Uniformität
und Trivialität ist, nicht eben Unrecht
haben.
Gleichwohl scheint mir als Kriterium
schauspielerischer Leistungskraft nichts so
albern und billig, wie die althergebrachte
Scheidung zwischen Intellect und Gemüth,
Intelligenz und Empfindung, Manier und
Natur oder Bewusstsein und Unbewusstsein.
»Empfindung ist überhaupt immer das
Streitigste unter den Talenten eines
Schauspielers. Sie kann sein, wo man
sie nicht erkennt, und man kann sie
zu erkennen glauben, wo sie
nicht ist. Denn die Empfindung
ist etwas Inneres, von dem wir nur
nach seinen äußeren Merkmalen ur-
theilen können.« Dies wäre des näheren
in Lessings Schriften nachzulesen.
Bei Beurtheilung schauspielerischer Im-
pressionen wird man sich eben aus-
schließlich fragen müssen, ob der Schau-
spieler, der sie vermittelte, die Fähigkeit
inne habe, mit intuitiver Bereitwilligkeit
die Erscheinungen der erdichteten und
realen Welt in sich einzufangen, an ihnen
gleichsam krank zu werden und nach
dieser befruchtenden Kreuzung allerhand
Menschen, Thiere und übersinnliche Phäno-
mene neuschöpferisch aus seinem Innern
hervorzuholen. Ob dieses Innere des Schau-
spielers nun sein »Gefühl«, sein »Gemüth«,
sein »Herz«, sein »Kopf« oder seine
»Seele« ist (Termini, die sich nur alpha-
betisch, nicht taxativ aufzählen lassen)
— wer will das wissen? Vielleicht ist es
seine Zirbeldrüse? Oder sein Nabel, der mit
dem Nabel des Weltgeists in sympathe-
tischer Verbindung ist, wie eine apokryphe
Sage zu melden weiß? Gleichviel. Als
Facit bleibt, dass, wer in artibus für das
Gehirn nicht taugt, von vornherein auch
für das Gemüth verloren ist — und um-
gekehrt. Man vergesse eben nicht die
vielfachen Wechselbeziehungen dieser nur
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