Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 6, S. 130
Text
Da folgte ihm ein Zweiter und entbot
Mich näher zu des Bannerträgers Stab.
Und da ich zitternd mich dahin begab,
Berührte er mit einem Finger sacht’
Den, der die Liebe war, und sprach: Hab’ Acht!
Kein Odem ist in ihm — Ich bin der Tod.
Vom Fusse schütteln wir den Staub erst ab,
Damit er nicht den schriftbedeckten Stein
Befleckt, wo manches heilige Gebein
Im Chorgang ruht, und Glaube weilt am Grab,
Dem jeder Todte seinen Namen gab.
Sichtbar Gebet will Malerkunst hier sein,
Der Bildner meisselte in Stein es ein,
Nun tönt es fort, die Ewigkeit hinab.
Hier aussen sind die Glocken blosser Schlag;
All seinen Sonnenschein der Nachmittag
Legt schwer an das geschnitzte Kirchenthor;
Doch innen findet, wer mit uns eingeht,
Nur Schweigen, plötzlich Dunkel, tief Gebet,
Und rings um uns, gekrönt, ein Engelschor.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 6, S. 130, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-06_n0130.html)