Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 6, S. 131

Theater-Abend Gattin (Altenberg, PeterObstfelder, Sigbjörn)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 6, S. 131

Text

GATTIN.
Von SIGBJÖRN OBSTFELDER (Stavanger, Norwegen).

— Gattin, vier Kinder!

Sie hat das Gesicht mit ihren
Händen bedeckt. Sie sieht ein weißes
Segel langsam schwinden: ihre Jugend.

— Gattin, vier Kinder!

Sie öffnet das Fenster. Ein licht-
gelber Schmetterling flattert draußen.
Sie biegt sich hinters Clavier zurück.
Er kommt heran! Gerade auf ihre
Hand.

— Du gelber Schmetterling! Glaub-
test du, ich sei eine Blume? Ich bin
bald eine alte Frau. Meine Stube ist
zu eng für dich.

Behutsam trägt sie ihn nach dem
Fenster und hebt den Arm hoch. Er
fliegt hinaus. Er setzt sich ins Auge
einer Stockrose, küsst es, fliegt davon.
Da er aber fortgeflogen war, blieb das
Auge der Rose nass.

— Erzähle niemandem, du gelber
Schmetterling, wo dein Flügel nass
wurde.

Mein gelbseidenes Kleid ziehe ich
heute an, und mein Arm soll nackt
sein, und meine Brautschuhe sollen
meine Füße schmücken. Und wenn
er kommt und wenn er mich fragt:

— Warum hast du dein gelbseidenes
Kleid an?

Werde ich antworten:

— Weil meine Schultern schöner
sind als die Flügel der Schmetterlinge.

Und wenn er fragt:

— Warum trägst du eine Stock-
rose in deinem Haar?

Werde ich antworten:

— Damit sie nicht verwelke, ohne
das Auge eines Mannes gesehen zu
haben.

Und wenn er fragt:

— Warum ist dein Arm nackt?

Werde ich antworten:

— Weil ich jung bin. Weil mein
Blut klopft in den Adern meines
Armes.

— Weil ich die Weiße meines
Armes um deinen Kopf legen will
und den Ernst aus deinem Gesichte
leuchten.

Da wird er meine Hand ergreifen
und mich fragen:

— Besitze ich dich auch heute,
du meine Gebieterin?

Und ich werde antworten:

— Du besitzest mich nicht. Du
borgst mich nur von dem großen
Leben, das Rosen und Schmetterlinge
dichtet.

THEATER-ABEND.
Von PETER ALTENBERG (Wien).

Sie konnte den Pudel nicht mit in
das Theater nehmen. So blieb der Pudel
bei mir im Café und wir erwarteten
die Herrin.

Er setzte sich so, dass er die
Eingangsthüre im Auge behalten konnte
und ich hielt es für sehr zweckmäßig,

wenn auch ein wenig übertrieben, denn,
bitte, es war ½8 Uhr und wir hatten
bis ¼12 Uhr zu warten.

Wir saßen da und warteten.

Jeder vorüberrauschende Wagen er-
weckte in ihm Hoffnungen, und ich
sagte jedesmal zu ihm: »Es ist nicht

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 6, S. 131, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-06_n0131.html)