Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 7, S. 149

Der Garten (Ysaey, L.)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 7, S. 149

Text

DER GARTEN.
Von L. YSAEY (Wien).*

Ein vornehm und dunkel gehaltenes Zimmer, in tiefer Dämmerung.

Zwei Personen stehen am Fenster.

MAREEN, 29 Jahre.

FERRAND, ihr Gatte, 35 Jahre.

FERRAND:

Nun endlich ist der lange Tag vorbei!

MAREEN:

Du nennst ihn lang, ein andrer heißt ihn kurz
Und allzu kurz und wird ihn darum schelten,
Ein Dritter lebt ihn, wie er eben ist.

FERRAND:

Der Dritte, das bist Du. — Ich weiß, Mareen,
Dir furcht nicht Zorn die ewig glatte Stirne,
Wenn träge Stunde sich an Stunde reiht,
Du klagst nicht, wenn die raschen Augen-
blicke
Des Glücks entfliehn, eh man sie recht
genoss.
Doch ist Dein Wesen anders, als das unsre,
Fremdartig, wie Dein Heimatland im Norden.
Dort lernt man sich bescheiden, lernt den Tag
Durch eine lange Dämmerung erwarten;
Man lernt auch schweigen, seltsam lernt
man reden,
Doch leben, nein, Mareen, das lernt man
nicht.

MAREEN:

Das sagst Du, weil Du unser Leben nie
Gelebt, und weil Du meinst, dass Hasten,
Jagen,
Jetzt fieberhaft erregt, dann wieder schlaff,
Bald voller Glück, von Schmerz dann ganz
gebeugt,
Dass dieser ewige Wechsel »Leben« heißt —
Ich lebe anders und ich glaube besser
Und wahrer, als es Deinem Spotte dünkt —
Was hast Du denn vom Tag, wenn Du
ihn treibst
Und schiltst, dass er beschämt von dannen
eilt,

Und all die Gaben, die Dir zugedacht,
Im Fliehen achtlos auf die Erde schleudert?
Und kommt sein Bruder, geht es ihm nicht
besser,
Bis endlich eine Stunde naht, die Du
Festhalten möchtest Ewigkeiten lang,
Wo zitternd Du um Augenblicke kämpfst,
Wo Du Dich selbst betrügst und lächelnd
sprichst,
Indes die Angst schon bebt in Deiner Stimme:
»Du bist vorbei? O nein, Du fiengst erst an,
Ich halte Dich, ich lass Dich nicht von
hinnen!«
Doch Bitten sind und Klagen da vergeblich,
Sie geht, so wie so viele vor ihr giengen,
Auf deren Gehen Du nicht sonderlich
Geachtet, und im Dunkeln bleibst Du dann
Allein und leise schleicht das Glück hin-
aus — — —
Wenn mein Tag kommt, so öffne ich die
Arme
Und grüße ihn wie einen lieben Gast.
Die Pforten meiner Seele thu ich auf
Und Freude lass ich ein zu allen Thoren.
Doch gehn die Tage meistens still dahin,
Sie halten wenig in den offnen Händen,
Zuweilen nur die Sehnsucht nach den Gaben
Des Lebens und zuweilen auch nicht
die — — —
Nun, sei es, wie es will, ich sehe ruhig
Sie kommen, sehe ruhig sie entschwinden,
Was sie mir geben können, nehm ich an
Und trag nach andern Schätzen kein Ver-
langen.

FERRAND:

Du Schwärmerin, ein hingeworfnes Wort,
Bei dem ich kaum mir wirklich etwas dachte,
Bringt Dich in Feuer, macht Dich lebhaft
reden,

* Aus dem Buche der nämlichen Verfasserin, das demnächst unter dem Titel »GRAS-
HALME« im Verlage der »Deutsch-Österreichischen Literatur-Gesellschaft« erscheinen wird.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 7, S. 149, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-07_n0149.html)