Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 7, S. 150

Der Garten (Ysaey, L.)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 7, S. 150

Text

YSAEY: DER GARTEN.

Die Wangen glühen Dir, die Augen
leuchten — — —
Du bist doch eine alte Frau, Mareen,
Zehn Jahre meine Gattin, und doch glaub
ich,
Wenn ich Dich sehe, dass ein junges
Mädchen
Von achtzehn Jahren vor mir steht. Das
that
Ein kurzes Wort; die Liebe, die ich Dir
Zehn Jahre täglich neu entgegenbringe,
Und die die ersten Zeiten unsrer Ehe
Noch heißer war, wenn auch nicht herz-
licher,
Die hat ein solches Wunder nie ver-
mocht — —
Es scheint mir sonderbar, wenn ich so
denke,
Wie Du zehn Jahre nun schon bei mir lebst
Und Tag um Tag Dir immer gleich ge-
blieben.
Ich dachte einst, Du seist ein scheuer Vogel,
Der sich dem neuen Herrn erst müsst ge-
wöhnen,
Um lustig, wie es Vogelbrauch, zu singen;
Doch weiß ich nun, dass es so Deine Art,
Still Deines Wegs zu gehn — —
Und hab mich drein gefunden. Schwer
wars nicht,
Denn Güte ist vor allem Dir zu eigen,
Und Güte zwingt die ungestümsten
Wünsche.
Auch gabst Du mir ja alles, was zu geben
Dir möglich ist, und war es Liebe nicht,
Ich meine jene heiße Sinnenliebe,
So kams daher, dass Deinem Wesen eben
Die Liebe fremd und Du sie nicht ver-
stehst — — — —
Wie Du nun lachst! So lachen kluge Kinder,
Wenn sie ein schönes Spielzeug vor dem
Auge,
Dem unberufnen, gut verborgen glauben.
Ich liebe dieses Lachen, denn es macht
Dich
So jung, Mareen, wie andre Frauen es
Vielleicht niemals gewesen.

MAREEN:

Liebster Freund,
Wenn ich jetzt lachte, war es, weil ich
wirklich
Ein schönes Spielzeug gut verborgen habe,
Und weil es grade Das ist, was Du wohl
Am wenigsten bei mir vermuthen würdest.

FERRAND:

Ein Spielzeug, Du? Was könnte das wohl
sein?
Ich kenn es nicht? Ich würd es nicht
vermuthen,
Bei Dir zu finden? Du verbirgst es mir?

MAREEN:

Verzeih, ich weiß, Du kannst das nicht
verstehn,
Allein, was sind Erinnerungen andres
Als Spielzeug, das in seltnen Feierstunden
Wir aus dem Winkel unsres Herzens holen,
Wo jahrelang es sorglich war verborgen.
Wir nehmen es ans Licht, vergnügen uns
An dem verblichnen Goldglanz alter
Freuden,
Ein wenig schmerzt noch das vergangne
Leid,
Doch lächeln wir zumeist und sargen
lächelnd
Dann wieder ein, was einstens doch für uns
Lebend’ges Leben war.

FERRAND:

Was Du da sagst,
Ist wohl sehr wahr, allein es gilt für Dich
Wohl nicht, kann ja für Dich nicht gelten.
Als Du zu mir ins Haus kamst, warst Du
jung,
So neunzehn Jahre, denk ich, und seitdem
Kenn ich ja jede Stunde Deines Lebens —
Wir giengen einen langen Weg zusammen,
Mareen, Du bist ihn gern mit mir gegangen?
Du schweigst?

MAREEN:

Sprachst Du zu mir? Ich hörte nicht.
Wie kommst Du nur dazu, Erinnerungen
Mir abzusprechen? Grade mir! Es ist
Wohl wahr, ich habe jung Dein Haus
betreten,
Allein, es gibt doch Jahre meines Lebens,
Die Du nicht kennst, mit deren Inhalt Du
Nie rechnen konntest, die Dir ewig fremd.
Vielleicht, wenn Du sie kenntest, würdest Du
Mich minder lieben, doch vielleicht auch
mehr,
Das weiß ich nicht — Ich weiß nicht viel
von Dir
Und Deinen Wünschen, trotzdem ich so
lange

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 7, S. 150, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-07_n0150.html)