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Ebene, die ganze Natur wird ihm zu einem
größeren Leben, in dem er zuweilen mit
seinen Schmerzen untertaucht. In seiner
Überfeinerung, die etwas Perverses an
sich hat, liebt er alles, was krank und
Krankheit ist: das letzte Leben, das Roth
an welkenden Blättern, die stillen Herbst-
winde, die den Tod bringen, die weh-
müthigen Seelen, die entbehrt haben, deren
ganzes Leben nur noch in den Augen
blüht. Er liebt »die welkenden Arme
kranker Mädchen und ihre schwindenden
Wangen, aus welchen die Seele stärker
strahlt, während sie weißer werden«.
So wird in seinen Dichtungen alles
Leben zu Traum und Gleichnis. Nur die
Natur ist es, die auf die schmerzlichsten
Fragen ihm eine Antwort zu geben ver-
mag; etwas, das in der Stadt und im
Gewühle in ihm geschlummert, wird in
der Einsamkeit wach, und in seinen um-
florten Augen blüht eine Freude auf, die
jenseits aller Ursächlichkeit liegt. Und
so geht seine Rede: Siehe, ich habe mich
selbst vergessen, wie soll ich meine
Ursachen noch kennen?
Er sieht vom Leben vieles in seinen
Träumen, was wir mit unseren wachen
Augen nicht sehen; seine Welt ist die-
jenige, die uns jeden Augenblick versinkt
und untergeht: der Seufzer eines sehn-
süchtigen Mädchens, eine flüchtige Geste
ihrer Hand, ein Augenaufschlag, der die
Welt grüßt, jagende Wolken, fallende
Tropfen und Gedanken und Gefühle, die
wie jagende Wolken und fallende Tropfen
sind.
Das ist der Inhalt seiner Novellen und
Gedichte: all das Köstliche, Kostbare und
Flüchtige, das wir fallen lassen, die theuren
Güter der Erinnerungen. Verweile, weil
du schön bist, sagt er zu diesen Minuten,
und sie bleiben stehen, er fängt sie auf
mit all ihrem schwindenden Duft, ihren
Farben. Sonst weiß er keine Geschichten;
er erfindet nichts, er findet ja überall
Leben, dem er sich hingibt.
Und so wie Obstfelders Psyche ge-
artet ist: zärtlich, hingebungsvoll und
stets zur Empfängnis bereit, musste er
zum tiefsten Dichter des Weibes in der
gegenwärtigen Literatur werden. Denn
viele haben die Frau in ihrer socialen
Stellung wohl geschildert: als Mutter, als
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Gattin, als Salondame und Dirne
»aber diese sind nicht das Weib«. — —
»Das Weib ist wie eine Schlingpflanze,«
lässt Obstfelder den Maler Bredo in seiner
Novelle »Das Kreuz« sagen. »Es steckt
in allem, es ist wie ein gefährlicher Epheu.
Es windet sich um alle Männer und alle
Häuser. Es schlingt sich um unseren
Fuß, und wir fallen; es bekränzt einen
anderen, und er wandelt in Duft. Es
untergräbt ein Haus und klettert auf das
Dach eines anderen.
Und es ist immer dasselbe Weib. Es
sind Tausende, ja hundertmal Tausende
von Männern in der Welt. Allein es ist
bloß ein Weib, bloß ein einziges Weib.
Dasselbe Weib ist in allen Weibern, das-
selbe schleichende Phantom — das sich
so klein wie eine Maus machen kann und
so gewaltig und wunderbar wie eine Fata
Morgana.
Das Weib ist ein Phantom, das un-
sichtbar unter uns wandelt, in den Herzen
und Gehirnen, das vor Urzeit da gewandelt
hat, die ewige Eva. Siehe, das ist das
Gefährliche: wir sehen in der einzelnen
Frau das Weib — das Weib, das Phantom
unter uns.
Ach, wir wissen nie, wo sie ist! Wir
glauben, sie schlummert in unserem Arm,
und dann ist sie Tausende von Meilen
fort!«
Und dieses eine Weib ist es, das er
kennt; »es dichtet in ihm«. Er geht mit
zarten Fingern über die ganze Claviatur
und dennoch hören wir den Klang eines
Tones; alle Töne sind in diesem Ton.
Und sie sind zart bis zur Lautlosigkeit
es ist unmöglich, etwas nachzuerzählen
und wiederzugeben. Soll ich von den
Frauen Rebekka und Lio erzählen, die
wie Räthsel durch die zarten Blätter Obst-
felders gehen? Es ist die Frau, die wir
alle in unseren reinsten Träumen geliebt
und ersehnt und die wir vielleicht durch
die Gosse unseres Egoismus, unserer
niederen Lust geschleift haben, wenn wir
ihr begegneten, ohne zu wissen, dass es
unsere Schwester war, geboren, uns wehe
zu thun, unsere Thränen zu küssen, unser
einziges Lachen mitzulachen und dann
durch ihr eingeborenes Schicksal unter-
zugehen, wie der lichte Tag in einer
Wolke und in seinem Abend untergeht.
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