|
Nationalhelden entstünde, jemals wieder
auszufüllen.
Zu allerletzt würden die Spassvögel
hervortreten und geltend machen, dass
man durch Abschaffung des Pöbels, der
an den schlechten Kleidern kenntlich sei,
noch nicht den gutgekleideten loswerde.
Da die Bezeichnung Pöbel in diesem Falle
wohl zutreffend, aber doch in einer über —
tragenen Bedeutung gebraucht wäre, fällt
indessen diese Einwendung außer den
Rahmen des Stoffes.
Von den vielen und natürlichen Be-
denken, die hier angedeutet wurden, ist
es hauptsächlich die eine, die ernstlich
in die Wagschale fällt. Man kann nicht
leugnen, dass andauernde und übermüthige
Unbilden die Unterdrückten berechtigen,
sich mit den Waffen in der Hand zu er-
heben. Suchen wir uns indessen eine Ge-
sellschaft von ausnahmslos Gebildeten vor-
zustellen, so können wir, wie gesagt, mit
dieser Vorstellung schwer das Bild der
Straßenkämpfe einer großen Revolution
vereinigen. Oder können wir uns unsere
Professoren und Geschäftsleute, unsere
Hofmänner und Kanzlisten denken, wie
sie auf einander schießen? Ließen sie sich
wirklich zu etwas derartigem hinreißen,
so würde dies offenbar nur darauf beruhen,
dass irgendein letzter Überrest von Pöbel
sich in ihre Reihen geschlichen, denn
Pöbelgeist ist ansteckend. Wer von ihm
ergriffen ist, weiß nicht mehr, was er
thut. Wir brauchen jedoch nicht zu fürchten,
dass nicht auch in einer Gesellschaft von
nur Gebildeten für wohlthätige Reibungen
und Umstürze Platz wäre. Es würden da
mindestens ebenso heftige Leidenschaften
herrschen, wie zu unseren Zeiten. Opfer-
willigkeit und Selbstsucht, Ehrgeiz und
Feigheit würden mit unverminderter Gewalt
und stets wachsenden Zielen einander be-
kämpfen. Der ganze Unterschied wäre,
dass der Kampf in geistigere Formen
übergienge und Büchsen, Ofengabeln und
Besenstiele politisch ihre Bedeutung ver-
lören. Wir haben daher weit mehr Ursache,
hiebei die gegenwärtigen Misshelligkeiten
zu beachten, als aus Sorge für die Zukunft
die Beibehaltung des Pöbels anzustreben,
und zwar gegen seinen eigenen Willen.
Zerpflückt man den Pöbel in Individuen,
so behält man nichts in der Hand. Vor
|
mehreren Jahren wurde ich in Paris in
einen lärmenden Pöbelhaufen eingezwängt.
Hundert Nebelhörner auf einem empörten
Meere hätten mich nicht mit unheim-
licherem Geheul umgeben können, als alle
diese Menschenkehlen, in denen die Worte
erstickten. Die Hände hoben sich, die
Münder standen weit offen, und wie
zu den stummen Tönen einer gemein-
samen, aber nur im Innern vernommenen
Melodie begannen alle Füße im Takte zu
marschieren. Es hätte nur eines kräftigen
Willens bedurft, der ein bestimmtes Ziel
bezeichnet, und der Haufe hätte in immer
steigender Selbsterhitzung sich zu welchem
Auftritt immer leiten lassen. Als der Lärm
nach geraumer Zeit sich endlich zu legen
begann, knüpfte ich mit einem hoch-
gewachsenen Blousenmanne in meiner un-
mittelbaren Nähe ein Gespräch an. Er
hatte sich als einer der ärgsten Schrei-
hälse ausgezeichnet; allein zu meiner
Überraschung entdeckte ich sehr bald in
ihm einen braven und biederen Arbeiter,
zärtlichen Familienvater und vor allem
einen Menschen, dem es weit mehr Ver-
gnügen machte, zu debattieren als zu
schreien. Er sprach vielleicht etwas finsterer
als ich von jenen Verhältnissen, deren
Bürde er schwerer fühlte, aber dagegen
war nichts zu sagen, und wir schüttelten
einander beim Abschied die Hand. Ich bin
überzeugt, dass ich, wäre ich von Mann
zu Mann gegangen, in den allermeisten
Fällen dieselbe Entdeckung gemacht hätte.
Pöbel gibt es nur in Haufen. Äußerst
selten trifft man auf eine Person der arbei-
tenden Classe, die uns Anlass gibt, etwas
von Pöbel zu murmeln. Sie mag sich
widersetzlich zeigen, doch das ist etwas
anderes. Im Gegentheil! Zumeist verräth
ein solcher Mensch klare und bestimmte
Ansichten über Recht und Unrecht, sowie
ein rührendes Verlangen nach Wissen.
Ein Buch ist für ihn fast immer eine be-
sonders willkommene Gabe. Erst wenn
viele Menschen im Gedränge stehen, bricht
der Pöbelgeist aus, zumeist vermischt mit
einem kindischen Gefallen an tollen Streichen,
und dann kann die Ansteckung sich in
wenigen Augenblicken verbreiten. Wenn
eine große Anzahl Menschen sich schon
von Geburt an in eine zusammengedrängte
Gruppe abgesondert fühlt, dann findet
|