Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 6, S. 139

Über die Abschaffung des Pöbels (Heidenstam, Verner von)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 6, S. 139

Text

ÜBER DIE ABSCHAFFUNG DES PÖBELS.
Von VERNER VON HEIDENSTAM (Stockholm).

Keine Reform ist nothwendiger und
pocht angelegentlicher an unsere Thüre,
als die der baldmöglichsten Abschaffung
des Pöbels. Es ist daher an der Zeit, die
Sache zu überdenken und zu erwägen,
was darin zu thun sei.

Der Pöbel ist ein unzeitgemäßes Über-
bleibsel aus den dunkeln Gässchen der
mittelalterlichen Städte und den berüch-
tigtsten Quartieren hinter Roms Subura,
ein fremdes Element in unserer, auf Ge-
rechtigkeit und milden Sitten aufgebauten
Gesellschaft. Aus fast allen Zeitaltern
weiß man zu berichten, wie der Pöbel
mit Vorliebe Tod und Verdammung just
über jene Männer herabgerufen, die es
weit eher verdient hätten, bei einem öffent-
lichen Ehrenschmause tractiert zu werden.
Der Pöbel ist mit einem großen Wasser
zu vergleichen, das je nach den verschie-
denen Absichten der Ingenieure angeleitet
werden kann, die nützlichsten Räder zu
treiben oder auch zu überschwemmen und
zu vernichten. Es hat allerdings Ingenieure
gegeben, die inmitten des Tobens einer
Revolution dies Wasser zwangen, durch-
sichtig und quellenklar in den schönsten
Regenbogen zu spielen, aber eben die
Möglichkeit, dass beinahe jede Hand im
Augenblicke der Leidenschaft den Damm
zu sprengen vermag, hält die Gesellschaft
in einer beständigen Unsicherheit. Es ist
keine kluge Haushaltung, sich gegen
Seuchen und ausländische Usurpatoren zu
verschanzen und zu gleicher Zeit Heeren
von ungezähmten Hunnen innerhalb der
eigenen Grenzen Aufenthalt zu geben. Eines
Tages kann es geschehen, dass diese Hunnen
sich ungerufen erheben, und dann steht
unsere ganze Cultur in hellen Flammen. Man
kann daher nichts anderes wünschen, als dass
irgendein Reichstags-Abgeordneter, der
wahrhaft ernste Aufgaben mit seinem
Mandat zu verknüpfen trachtet, ohne
Zögern den Antrag stelle, der Reichstag
möge mit der Bitte um baldige und voll-

ständige Abschaffung des Pöbels an Seine
Majestät herantreten.

Allerdings müsste ein solcher Antrag
darauf gefasst sein, anfänglich vielen Be-
denken und zähem Widerstände zu be-
gegnen.

Einerseits würden die Machthabenden
etwa folgendem Gedanken Raum geben:
Gesetzt den Fall, wir kämen durch Miss-
geschick zu einer recht elenden Regierung,
so könnte diese möglicherweise an dem
Pöbel eine Stütze finden. Mit Hilfe des Pöbels
kann man sogar die Alleinherrschaft her-
stellen und Tyrannen schaffen.

Andererseits gäbe es wohl diesen oder
jenen Parteiführer, der sich bei gänzlicher Ab-
schaffung des Pöbels plötzlich fühlen würde
wie eine Galeere ohne Segel. Er würde
sich wahrscheinlich sagen: Wenn wir den
Pöbel nicht haben, wie können wir dann,
wenn die Nothwendigkeit es fordert, rasch
einen Coup ausführen? Klügelnde Gesetzes-
ausleger, eigennützige Rathgeber und
Lustigmacher der niedrigsten Art werden
sich um den Thron sammeln, und die
Macht, die sie zu vertreiben vermag, wird
fehlen. Eine allgemeine Stagnation wird
im öffentlichen Leben eintreten, und ohne
Pöbel wäre keine umfassende Revolution
möglich.

Endlich würden gewisse volksfreund-
liche Kunstkenner, die gern bekümmerte
Worte über dumpfige Treibhausluft auf
der Zunge führen, nicht bloß vom ästhe-
tischen, sondern auch vom sittlichen Ge-
sichtspunkte aus, es höchst unvorsichtig fin-
den, ein so altes und kräftiges Gesellschafts-
Ornament, wie es der Pöbel ist, wegzu-
räumen. Keine Literatur in der ganzen Welt
hat sich, wie die schwedische, zu einem
Tempel über Schenken und Dirnen aufge-
baut, und das verkommene Subject mit seiner
galligen Bitterkeit hat einen solchen Ehren-
platz darin erhalten, dass die Kunstkenner
es uns nicht zutrauen würden, den leeren
Raum, der durch die Ausmerzung dieses

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 6, S. 139, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-06_n0139.html)