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Am 3. Februar war im Berliner
»Deutschen Theater« großer Abend. Ein
neues Stück von Hauptmann sollte zur
Aufführung gelangen, und in diesem
Stücke sollte der an Metamorphosen
gewiss nicht arme Dichter eine neue
Wandlung durchgemacht haben, die ihn
dem alten Shakespeare nahebrachte.
Dieser Vergleich mit Shakespeare kehrte
in all den sonst so verschiedenen Vor-
anzeigen mit einer solchen Regelmäßigkeit
wieder, dass man in der That gespannt
sein konnte.
Nun, der Premièren-Abend nahm seinen
Verlauf, und sein Ergebnis war das übliche,
das sich nach allzu gespannten Erwartungen
einzustellen pflegt: eine große, große Ent-
täuschung.
Shakespearisch sollte dieses »Spiel zu
Scherz und Schimpf in fünf Unter-
brechungen« sein, wie Gerhart Haupt-
mann seinen »Schluck und Jau« charak-
terisierte, und die ganze Verwandtschaft
mit Shakespeare lief darauf hinaus, dass
Hauptmann ein gelegentliches Scherzo
Shakespeares, das Vor- und Nachspiel zur
»bezähmten Widerspenstigen«, zu einem
ganzen Drama verarbeitet hatte. An einer
solchen Herübernahme war an sich nichts
auszusetzen. Shakespeare selbst hatte jenes
Scherzo nicht erfunden. Die Geschichte
von dem bezechten armen Teufel, den
eine Hofgesellschaft heimlich ins Schloss
bringt, in fürstliche Gewänder steckt und
ihm dann solange vorredet, er sei ein
wirklicher Fürst, bis er daran glaubt, diese
Geschichte war uralt, jeder Dichter durfte
sie sich aufs neue aneignen. Was man
einzig von einem wirklichen Dichter ver-
langen konnte, war, dass er den Stoff
persönlich formte, dass er etwas Neues
mit der alten Fabel zu sagen hatte. War
das bei Gerhart Hauptmann der Fall?
Einmal nur, im 3. Act, hatte es den An-
schein. In diesem — nur in diesem — Acte
rechtfertigte Hauptmann seinen Untertitel
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»ein Spiel zu Scherz und Schimpf«.
Da steht der Zechkumpan des Talmi-
Fürsten zwei vornehmen Damen gegen-
über, und in seinem schlichten Reden
und Thun entwickelt er unbewuset
soviel Herzensgüte, soviel wahren und
reinen Adel, dass man sich fragen musste,
wo hier der Adel und wo der Pöbel war.
Dann aber folgte der 4. Act, in dem der
falsche Fürst ein so rüpelhaftes Wesen
zeigte, dass jener Anlauf bald vergessen
war. Man verzieh bei Hauptmann so gut
wie bei Shakespeare der vornehmen Ge-
sellschaft ihren wenig vornehmen Streich,
denn das Gesindel, an dem es seine Laune
ausließ, verdiente keine bessere Behand-
lung. Mit Hauptmann — darüber waren sich
Unbefangene nach dem Schlusse des letzten
Actes klar — gieng es zu Ende. Wenn er
nach diesem Stücke ein neuer Shakespeare
war, so war Goldmark ein neuer Wagner
und Begas ein neuer Michelangelo.
So standen die Dinge am Abend des
3. Februar, und so bekamen es die Ber-
liner am Morgen des 4. in ihren Zeitungen
zu lesen. Aber dann folgte auf Sonntag
den 4. Februar am Montag der 5., und
da geschah etwas Seltsames: das Buch
erschien. Hauptmann pflegt mit der Buch-
Ausgabe seiner Dramen zurückzuhalten
bis nach der Aufführung. Er thut das aus
geschäftlichen Rücksichten, was ja im all-
gemeinen recht klug sein mag, in diesem
Falle aber herzlich dumm zu nennen war.
Staunend sollte man sich bei der Lectüre
überzeugen, dass die Regie einen ganzen,
sage und schreibe: einen ganzen Act ge-
strichen hatte, und dass gerade in diesem
Act alles das, was im 3. Act nur an-
gedeutet ist, in voller Breite ausgeführt
war. Der Fürst von der Gasse, den wir
im Theater lediglich als Lumpen kennen
lernen, macht da eine Wandlung durch.
Er lernt das Commandieren. Er comman-
diert so fachmännisch, dass die Leute vor
ihm zittern, dass sie ihm zuliebe den wirk-
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