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Wieder kehren wir vor fremden Thüren.
Wieder geht es um die höchsten Güter
einer anderen Nation. Diesmal einer
nachbarlichen. Wieder lassen wir in großer
Uniform die gesammte Freiheitlichkeit
unserer intellectuellen Kräfte, die gesammte
Feierlichkeit unseres culturellen Empfindens,
die gesammte Verlogenheit unserer frei-
denkerischen Pose rasselnd aufmarschieren
vor ihren Thoren. Dort drüben im Reiche
aber steht »das Volk« auf, genasführt von
feindlichen Dunkelmännern, doppelt ge-
nasführt von freundlichen Lichtbringern,
die mit allerhand erhöhten Worten über
die Jämmerlichkeit ihrer bisherigen
Horizonte hinwegzutäuschen suchen und
die wohlverdiente Blamage ihrer poli-
tischen Gegner bewusst oder unbewusst
dazu benützen, um sich in Dingen der
reinen Kunst (aus unkünstlerischen Mo-
tiven natürlich) mit Liberalitäten zu brüsten,
die bislang niemals ihre Sache gewesen.
»Weg da mit allen Mäntelchen« —
klingt es im Chorus der falschen Ver-
theidiger. »Freiheit liebt das Thier der
Wüste, frei im Äther herrscht der Gott.
Sieben Schalen trägt die Zwiebel, aber die
Kunst, die große Kunst, die erlauchte,
hohe, gebenedeite Kunst, kann keinerlei
Hülle auf ihren Lichtwegen dulden. Platz
also für die gebenedeite Kunst, die wir
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mit schnüffelndem Instinct stets dort nur
gesucht und gefunden, wo sie ein Ver-
mächtnis unserer Cultur an die gesunde
Sinnlichkeit unserer Mitwelt war.«
Vanitas, vanitatum, vanitas! Wo haben
denn sie, die also sprechen, wo haben
die täglichen Bonzen und Bonzenblätter,
die da auf einmal pathetisch solch frei-
geborene Rede führen, ihre Kunst-
bedürfnisse und Kunstbefriedigungen ge-
sucht und gefunden? Wo suchen, wo finden
sie die Gnaden der Kunst selbst heute noch?
Le Nu chez Blumenthal, Le Nu chez Kadel-
burg, chez Schönthan, Lubliner, L’Arronge
et Lindau, Le Nu chez Heyse, Le Nu
chez Fulda — wären Sammelwerke von
culturpsychologischer Findigkeit, und es
ist wohl nachgerade an der Zeit, dass
Professoren, wie Pietsch und Knackfuß,
mit der patriotischen Ordre betraut
werden, diese Geschmacksgeschichte des
deutschen Kunstphilisters mit deutschem
Gelehrtenfleiß in Angriff zu nehmen.
Ella — hopp, von den »vitalsten Inter-
essen der hohen Kunst« ist jetzt allerwärts
die Rede. Die ungewaschensten Wulst-
lippen, die sonst nur Dividenden und
Ziffernschnüre wie Caviar zu zerreiben
pflegen und in ihren andächtigsten Augen-
blicken das »Weiße Rössl« zu begrinsen
wissen, drücken geflissentlich in osten-
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