Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 6, S. 145

Gerhart Hauptmanns »Schluck und Jau« Lex Heinze (Pastor, WillyLindner, Anton)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 6, S. 145

Text

LINDNER: LEX HEINZE.

lichen Fürsten gelegentlich beiseite schieben.
Hals über Kopf muss dem gefährlichen Spiel
ein Ende gemacht werden, da der Bettler
bedenklich nahe daran ist, ein wirklicher
Fürst zu werden und der Fürst ein wirk-
licher Bettler.

Schon einmal hatte das »Deutsche
Theater« mit dem Dichter der »Weber«
in officiellen Kreisen böse Erfahrungen
gemacht. Man versteht es, dass die Leitung
der Bühne den unangenehmen Act unter-
drückte, in dem so unzweideutige Zwei-
deutigkeiten vorkamen wie die Kropf-
geschichte. Der Gassenfürst wüthet da,
als man ihm bange machen will mit
dem König, dem einzigen, der mehr ist

als er selbst: »Mit dam Kruppe hie, dar
mi am Halse sitzt, verricht ich meh Dinge
ei lumpichte vier Wucha, wie dar Keenig
ei siebzah Jahren dahie. Ich luss a wachsa:
da nimmt au der Mond zu! Ich luss a
abnahma, hie da Krop: da nimmt au der
Mond ab duba am Himmel. Das mach
ich! Das mach ich, wie nischte dahie!«
Giftiger, boshafter ließ sich ein gewisser
Herrencult nicht verspotten, und, wie
gesagt, es ist verständlich, dass das
»Deutsche Theater« da nicht recht mit
wollte. Was aber unverständlich bleibt,
ist die Frage: Wie konnte Hauptmann
eine so unmögliche Operation an seinem
Stücke vornehmen lassen?

LEX HEINZE.

Wieder kehren wir vor fremden Thüren.
Wieder geht es um die höchsten Güter
einer anderen Nation. Diesmal einer
nachbarlichen. Wieder lassen wir in großer
Uniform die gesammte Freiheitlichkeit
unserer intellectuellen Kräfte, die gesammte
Feierlichkeit unseres culturellen Empfindens,
die gesammte Verlogenheit unserer frei-
denkerischen Pose rasselnd aufmarschieren
vor ihren Thoren. Dort drüben im Reiche
aber steht »das Volk« auf, genasführt von
feindlichen Dunkelmännern, doppelt ge-
nasführt von freundlichen Lichtbringern,
die mit allerhand erhöhten Worten über
die Jämmerlichkeit ihrer bisherigen
Horizonte hinwegzutäuschen suchen und
die wohlverdiente Blamage ihrer poli-
tischen Gegner bewusst oder unbewusst
dazu benützen, um sich in Dingen der
reinen Kunst (aus unkünstlerischen Mo-
tiven natürlich) mit Liberalitäten zu brüsten,
die bislang niemals ihre Sache gewesen.

»Weg da mit allen Mäntelchen« —
klingt es im Chorus der falschen Ver-
theidiger. »Freiheit liebt das Thier der
Wüste, frei im Äther herrscht der Gott.
Sieben Schalen trägt die Zwiebel, aber die
Kunst, die große Kunst, die erlauchte,
hohe, gebenedeite Kunst, kann keinerlei
Hülle auf ihren Lichtwegen dulden. Platz
also für die gebenedeite Kunst, die wir

mit schnüffelndem Instinct stets dort nur
gesucht und gefunden, wo sie ein Ver-
mächtnis unserer Cultur an die gesunde
Sinnlichkeit unserer Mitwelt war.«

Vanitas, vanitatum, vanitas! Wo haben
denn sie, die also sprechen, wo haben
die täglichen Bonzen und Bonzenblätter,
die da auf einmal pathetisch solch frei-
geborene Rede führen, ihre Kunst-
bedürfnisse und Kunstbefriedigungen ge-
sucht und gefunden? Wo suchen, wo finden
sie die Gnaden der Kunst selbst heute noch?
Le Nu chez Blumenthal, Le Nu chez Kadel-
burg, chez Schönthan, Lubliner, L’Arronge
et Lindau, Le Nu chez Heyse, Le Nu
chez
Fulda — wären Sammelwerke von
culturpsychologischer Findigkeit, und es
ist wohl nachgerade an der Zeit, dass
Professoren, wie Pietsch und Knackfuß,
mit der patriotischen Ordre betraut
werden, diese Geschmacksgeschichte des
deutschen Kunstphilisters mit deutschem
Gelehrtenfleiß in Angriff zu nehmen.

Ella — hopp, von den »vitalsten Inter-
essen der hohen Kunst« ist jetzt allerwärts
die Rede. Die ungewaschensten Wulst-
lippen, die sonst nur Dividenden und
Ziffernschnüre wie Caviar zu zerreiben
pflegen und in ihren andächtigsten Augen-
blicken das »Weiße Rössl« zu begrinsen
wissen, drücken geflissentlich in osten-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 6, S. 145, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-06_n0145.html)