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süßer Geschlechtlichkeit in schaler Anmuth
hin- und herpendelt, den Namen GOETHE
zu einem Protestbunde missbraucht, wie-
wohl sein Altmeister, den er so trefflich
verstanden, zeitlebens ein Todfeind aller
Proteste und aller Bündlerschaften gewesen.
O, es gibt noch eine ganz andere
Nacktheit, von der sich die Weisheit
unserer Feinde und Gönner geflissentlich
nichts träumen lässt! Nicht in enthüllter
Fleischlichkeit zeigt sie sich, muss sie sich
zeigen, nicht in gemalten, gezeichneten,
gedichteten Menschengliedern, wie man
glauben könnte. Aber ein jeder Künstler trägt
sie in sich, der junge zumal. Und das ist die
Nacktheit seiner Schöpferseele. Und dazu ist
er Künstler, und darum schlagen die Säfte
mit Wehegewalt in seinem Innern an,
auf dass er diese Nacktheit im Augen-
blicke des Fruchtens hinausschleudere vor
die Lauschenden. Dazu ist er Künstler.
Aber schon nach den ersten Jahren seines
Schaffens, das anfänglich kein Hemmnis
zu dämmen vermochte, muss er mit immer
deutlicherem Entsetzen erkennen, dass
man ihm die Nacktheit seines ur-
sprünglichen Empfindens und seiner
schöpferischen Innenkraft zwar gönnerhaft
verzeihen, aber nie und nimmer rückhaltslos
gestatten werde. An allen Ecken und Enden
stößt er sich nun: das ist der Anfang. Überall
grinsen ihm in tausendfältiger Fassung
und Abart verkappte, gleichsam ima-
ginäre
leges Heinze ins Gesicht, die nie-
mals auf Reichstags-Tischen zur Discussion
gelegen, weil sie sozusagen das wesenlose
Product eines corruptionistischen Geheim-
bundes sind, der sich über den ganzen Staat
erstreckt und in unendlicher Verzweigung den
socialen Körper durchzieht, wie das Nerven-
gespinst den Leib des Einzelnen. Und nament-
lich jene ranzigen und brüchigen Machthaber,
denen der dithyrambische Freiheitsrausch
wie irgendein anderes Stimulans nur die
Verdauung beschleunigen hilft, sie sind es,
die ihm durch ihre vielhundertköpfige lex
Heinze allstündlich fast den Athem be-
nehmen, um ihn am Ende rasch »kirre zu
machen«. Will er nach rechts schreiben,
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muss er nach links schreiben, will er
nach links grüßen, muss er nach rechts
grüßen, will er drei Schritte nach vorn,
muss er zwei Schritte zurück, blickt er
mitleidig hinab, stößt man das Kinn ihm
hinauf. So erkennt er, der »nackte«
Künstler, dass man sich als kluger und
beweglicher Mensch inmitten der feilschen-
den Fischhändler die bürgerlich satte
Zufriedenheit zwar ohne sonderlich harte
Mühsal, doch nur um einen einzigen
Preis ergattern kann, um den Preis des
schmerzlichen Gelöbnisses, an der eigenen
Natur Verrath zu üben und wider das
Beste zu sündigen, das man von irgend-
woher auf den Weg bekommen, das nicht
schweigen will in Seele und Gliedern
und das den Leib stets aufs neue, aus
dem Innersten her, in ein Glühen bringt.
Dieses Glühen kann die schöpferische
Leidenschaft sein, die—jahrelang nieder-
gehalten unter dem Druck der Hemm-
nisse — sich nicht erdrücken lässt und
in die Höhe will; es kann aber auch die
Scham sein ob dieses demüthigenden,
gemeinen Treibens! Und flieht er nun
nicht wie ein wildes Thier in die ver-
schwiegenste Einsamkeit, kehrt er nicht,
dafern es noch nicht zu spät ist, geängstigt
zu sich selber zurück — dann wächst
seiner nackten Seele, kaum dass er sichs
versieht, so Mäntelchen wie Mäntelchen
an, verdichtet sich zu einer knorpeligen
Schale, die hürnen wie ein Panzer
wird und (heisa, mein Vögelchen!) mit
seiner Nacktheit hat es ein Ende.
Wozu der Lärm also, ihr Edlen? Wo-
zu der aufdringliche Tumult? Die leges
Heinze sind längst schon Nationalgut
der deutschen Nation, sind längst schon
stärker als wir alle — leges Heinze, wo-
hin man sieht, leges Heinze hier, da, dort
— — und jenes armselige, kleine Gesetz,
das da ein Zuhälter in den Reichstag ge-
worfen, ist in Anbetracht dieser leges wohl
nur die harmloseste Fuchsfalle, die unsere
Kunst behindern kann. Darum sei solchem
freiheitlichen Lärm das warnende Wort
Heines entgegengehalten:
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