Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 9, S. 111
Stefan George: Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod (Gundolf, Friedrich)
Text
Wir die als fürsten wählen und verschmähn
Und welten heben aus den alten angeln
Wir sollen siech und todesmüde spähn
Und denken dass des höchsten wir ermangeln —
Dass wir der Liebe treuste priester wol
Sie suchen müssen in verhülltem jammern
Die augen weit von wilden feuern hohl —
Und wenn wir endlich unser gut umklammern
Dass es verehrt gekrönt genossen kaum
Den sinnen wieder flüchtet fahl und mürbe
All unsre götter schalten nur und schaum!
»Ich weiß dass euer herz verblutend stürbe
Wenn ich den spruch nicht kennte der es stillt:
Da jedes bild vor dem ihr fleht und fliehet
Durch euch so gross ist und durch euch so gilt
Beweinet nicht zu sehr was ihr im liehet!«
So werd ich immer harren und verschmachten
Die Sonne steigt noch. Meine fahrt wird schlimm.
»Gepeinigt wärest du von gleichem trachten
Auch wenn ich heut dir sagte: komm und nimm!
Denn du gedeihst in kämpfen die dir ziemen
Du weisst dass stets ein linder balsam fliesst
Von meinem munde auf die blutigen Striemen
Doch ist hier niemand der sie dauernd schliesst.«
Und die verehrend an mein knie getastet
Und die ich lenke mit dem fingerzeig
Und deren haupt an meiner brust gerastet?
»Die jünger lieben doch sind schwach und feig.«
So ring ich bis ans end allein? so weil ich
Niemals versenkt im arm der treue? sprich
»Du machst dass ich vor mitleid zittre. Freilich
Ist keiner der dir bleibt: nur du und ich.«
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Wenn das Vorspiel Leben und Lösung |
unter Entwicklung zur Cultur den Drang Ein poetisches Geleitwort, fast pro- |
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 9, S. 111, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-09_n0111.html)