Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 9, S. 125

Die moderne Kunst in Frankreich seit 1870 (Mauclair, Camille)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 9, S. 125

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MAUCLAIR: DIE MODERNE KUNST IN FRANKREICH SEIT 1870.

Niedergange zu. Der Symbolismus hat
fast gar nichts geschaffen. Obwohl sein
Ziel ein sehr hohes und seine Theorie
viel schöner und ernsthafter war, hat es
ihm doch an Männern und Werken ge-
fehlt. Das kann man auf den ersten Blick
sagen. Ich will in dieser allgemeinen
Studie nur den Versuch machen, die Ge-
sammtströmungen und Richtungen der
modernen französischen Kunst vorzu-
führen.

Der Impressionismus, den die Kritik
sehr ungerecht und sehr ungenau beurtheilt
hat, ist in Wirklichkeit eine Bewegung der
Rückkehr zur Tradition des XVIII. Jahr-
hunderts — gegen den Romantismus. Ich
weiß, diese Erklärung wird Verwunderung
hervorrufen, doch ich will versuchen, ihre
Richtigkeit zu beweisen. Man hat die
Impressionisten Narren, Mystificatoren und
unsinnige Theoretiker genannt. In Wirk-
lichkeit lässt sich über ihre Entstehung
und ihre Ideen Folgendes sagen:

Sie bildeten sich in der Umgebung
von Eduard Manet, der einer der ge-
nialsten Neutöner des XIX. Jahrhunderts
bleiben wird. Manet hatte in der Malerei
in stofflicher Hinsicht die Meinung der
reinen Realisten, besonders Gustave Cour-
bets, der damals Triumphe feierte. Manet
hatte bewundernswerte Vorzüge; er war
ein directer Erbe von Hals, und auch
ein wenig von Velasquez, Ribera
und anderen Spaniern. Er verabscheute
die classischen und akademischen Maler
ebenso sehr wie die Romantiker mit den
declamatorischen Gemälden. Zu großen
Schöpfungen unfähig, war er wunderbar
in der Ausführung einer lebenden Figur.
Er war ein Maler von starker Rasse,
doch ein mittelmäßiger Intellectueller. In
dem künstlerischen Leben Manet’s gibt
es zwei Perioden. Die erste umfasst die
düsteren, von Spanien beeinflußten Bilder,
in der zweiten verlässt er diesen Stil, um
einen andern zu entdecken, denselben,
der im Jahre 1869 den Impressionismus
erzeugen sollte. Zu dieser Zeit trat Manet
mit Monet in Verbindung. Claude Monet
besaß eine wunderbare Begabung, die
feinsten Variationen des Lichtes zu er-
fassen, und bemühte sich vor Allem, diese
Feinheiten herauszufinden. Darin gemahnt
er an Claude Lorrain und auch an

Corot und Turner. Er gieng außerdem
auf Watteau zurück, den einzigen,
der im XVII. Jahrhundert überraschende
Studien der Farbenzerlegung aufzuweisen
hatte. Die Zerlegung der Farbentöne in
kleine, dem umgebenden Lichte ange-
passte Zwischentöne war ein Princip, das
Watteau zur Anwendung gebracht hatte.
Claude Monet systematisierte dasselbe
und erzielte so die Principien einer neuen
Maltechnik, in der kein Gegenstand mehr
eine persönliche Farbe hatte, sondern
von allen umgebenden Reflexen beeinflußt
wurde. Außerdem studierte er die wich-
tige Rolle, die das Blau, das Orange und
ihre Ableitungen in der Landschaft spielten.
Monet’s Ideen machten auf Manet einen
so starken Eindruck, dass er sie gleich-
falls (bei Figuren wie bei Landschaften)
zur Anwendung brachte.

Das Wort Impressionismus wollte
nicht besagen, dass sich diese Künstler
auf die Impression des von ihnen Ge-
malten principiell beschränkten. Der Ur-
sprung dieses Ausdruckes ist vielmehr
folgender: Im Salon von 1867 wollten
die Freunde Manet’s ausstellen, man wies
ihre Bilder zurück; doch die Schriftsteller
ihrer Umgebung erhoben so zahlreiche
Proteste, dass der Kaiser den Befehl er-
theilte, man solle ihnen einen besonderen
Saal zur Verfügung stellen, den man den
»Salon des Refusés« nannte und wo das
Publikum Die verspottete, die es heute
als grosse Maler begrüßt. Es befanden
sich darin Manet, Monet, Whistler, der
Kupferstecher Braquemond, der Maler und
Kupferstecher Alphonse Legros, Fantin-
Latour, der so treffliche Wagnerbilder
gemalt hat, und einige Andere. Eines der
Monet’schen Gemälde, ein Sonnenunter-
gang, hieß einfach »Impression«, und
darum nannte man die Künstler, die mit
der Technik Monet’s arbeiteten, spöttisch
»Impressionisten«. Der Name verbreitete
sich bald, und die Kritiker entdeckten
darin die Bedeutung eines Schulprogrammes,
während seine wahre Bedeutung doch die
von mir angegebene ist. Die zweite Lebens-
epoche Eduard Manet’s, der im Jahre 1883
starb, war einer Reihe von Bildern ge-
widmet, die zu den Meisterwerken des
Jahrhunderts zählen. Er war der Maler
der eleganten Frau des zweiten Kaiser-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 9, S. 125, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-09_n0125.html)