Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 10, S. 134

Les Muses quittent Apollon Das Museum Moreau in Paris (Moreau, GustavePrantz, Heinrich)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 10, S. 134

Text

DAS MUSEUM MOREAU IN PARIS.
Von HEINRICH FRANTZ (Paris).

Paris wird in kürzester Zeit um ein
Museum bereichert sein — ein Museum,
auf das diese Metropole stolz sein kann.
Der Maler Gustave Moreau (gestorben
1898) hat dem Staate sein Haus ver-
macht, in dem er sein ganzes Leben lang
künstlerisch thätig gewesen. Herr Henri
Rupp, der Testamentsvollstrecker und
intimste Freund Moreau’s, hat seit zwei
Jahren mit scharfem Kunstverstande all
die vielen Wunderwerke geordnet, die
das Haus birgt; nun ist seine Arbeit be-
endet, und wenn der Staat die Legate
Moreau’s nicht refüsirt, was wohl unzu-
lässig wäre, wird sich diese schöne Galle-
rie, in die bis nun nur Bevorzugte ein-
gedrungen sind, bald auch dem großen
Publikum erschließen.

Selbst der großen Menge, die ja
künstlerischen Manifestationen gegenüber
in der Regel indifferent ist, wird dieses
Museum in Wahrheit eine Offenbarung des
Moreau’schen Genies sein. Ganz im Gegen-
satz zu den meisten seiner Zeitgenossen,
die alle mehr oder weniger reclamesüchtig
waren, kannte er weder den Gelddurst
noch die unersättlichen Begierden unseres
Jahrhunderts. Einsam, gleichsam in der
Verbannung lebend, achtete er nur auf
die glanzvollen Erscheinungen seiner
Träume und verschmähte Ruhm und Ehren.
Dennoch fielen sie ihm zu, wenn auch
sehr spät. Nachdem er mehrmals in den
Salons Medaillen erhalten hatte, wurde er
1875 zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.
Im Jahre 1888 übertrug ihm die Ecole
des Beaux-Arts
die Direction eines ihrer
Ateliers, das durch den Tod Elie De-
launay’s vacant geworden war. Moreau
hatte nicht, wie so viele Maler, unter der
harten Nothwendigkeit zu leiden, seine
Werke verkaufen zu müssen, nur eine
kleine Anzahl seiner Bilder trat er ab,
und auch diese nur an Leute, die er
kannte. So durfte Herr Charles Hayem
die schöne Aquarell-Collection erwerben,

die er dann dem Luxembourg zum Ge-
schenke machte; desgleichen die Herren
Roux, Baillehache, Duruflé, Herriman, Louis
Mante und Charles Ephrussi. Aber diese
herrlichen, interessanten Werke konnten
bislang nur von einer ganz kleinen Schar
von Amateuren bewundert und studiert
werden. Dies wird nun jetzt, da sich das
Museum öffnet, anders werden, und es
steht zu hoffen, dass der Meister bald
auch in der Bewunderung Aller jenen
Platz einnehmen wird, den ihm seine große
Künstlerschaft anweist.

Ohne von seinen unmittelbaren
Lehrmeistern zu sprechen — wir werden
sehen, wie weit er ihnen folgte und wie
sehr er dessenungeachtet ein wahrer Neu-
schöpfer gewesen — kann man, wenn
man den Gang der Kunstgeschichte zurück-
geht, einen Theil seiner Inspiration bei
Luca Signorelli, Lionardo da Vinci,
Carpaccio wiederfinden, welch letzterem
er durch eine meisterliche Copie des Sanct
Georg-Bildes verehrungsvoll gehuldigt hat.
Auch erinnert er in der Harmonie seiner
Linien und in gewissen analogen Gruppi-
rungen an die pompejanischen Mosaiken, an
alte Cameen Von Neueren sind es zwei
Künstler, die als Lehrer Moreau’s genannt
zu werden verdienen: Delacroix und
Chassériau. Den Einfluss des ersteren
hat Paul Flat in seiner umfassenden
Schrift über Moreau auseinandergesetzt.
Man merkt diese Einwirkung namentlich
in den Jugendwerken des Meisters: La
Légende du roi Canut, Hamlet et Polo-
nius.
Der Einfluss Chassériau’s war nach-
haltiger. Auf vielen Tafeln, die jetzt im
Museum hängen, sieht man diese be-
wunderungswürdigen Frauenleiber, diese
reinen Körperlinien, die das Geheimnis
Chassériau’s waren. Moreau liebte und
verehrte an ihm auch den tiefen Glauben,
den antiken Schönheitstrieb, den er, der
Schüler, dann später zu noch weit größerer
Harmonie und Vollendung brachte, wie aus

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 10, S. 134, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-10_n0134.html)