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den Bildern »Darius en fuite«, »les Pré-
tendants«, »les Filles de Thestius« zu er-
sehen ist. Alle, denen jemals Werke
Chassériau’s (zum mindesten Reproduc-
tionen davon) zu Gesicht gekommen sind,
wie beispielsweise die Fresken des
Rechnungshofes, werden bei beiden Künst-
lern ein analoges Temperament und eine
analoge Technik constatiren müssen.
Die künstlerische Persönlichkeit Moreau’s
besteht wohl größtenteils in der unge-
heueren Macht seiner Intuition. Betritt
man das Museum, so fühlt man sich
anfänglich irre gemacht durch die große
Vielfältigkeit seiner Visionen. Das ist in
Wahrheit eine Legende der
Jahr-
hunderte, die sich in strahlenden
Bildern vor uns ausbreitet. Man hat
Mühe, dieser stets wahren Einbildung zu
folgen, die uns durch alle Zeitalter und
alle Civilisationen trägt. Aber bald wird
man fähig, große Cyclen zu unterscheiden,
die das Verständnis erleichtern und wie
ein Leitfaden durch diese magische Epopöe
geleiten. Drei große Kategorien lassen
sich erkennen: Die Gruppe »Heroen«,
die Gruppe »Weib«, die Gruppe »Dichter«.
Diese dreifältige Inspiration hat drei
Collectionen der charakteristischesten
Kunstwerke geschaffen.
Gustave Moreau hat, wie Richard
Wagner, das Mythische
er-
kannt. Er stellte es dar in seinen
Ölgemälden und Aquarellen mit einer
an die Antike gemahnenden Macht.
Neben Ödipus, Jakob, Sanct Georg,
Moses, Jason, Diomedes beschäftigten
ihn namentlich Prometheus und Her-
cules in vielen seiner Bilder. Zwar be-
findet sich die große Composition »Her-
cules und die lernäische Schlange« nicht
in diesem Museum, aber die Studienblätter
und Cartons zu diesem Werk zeigen uns
Herakles — schön und stark, gleich
einem Epheben — als eine der herr-
lichsten Verkörperungen des antiken Ge-
dankens. Hier findet sich auch das Ge-
mälde »Hercules am stymphalischen See«
— eine tragische Landschaft, von wilden
Vögeln belebt. Eines der Hauptstücke
dieser Gruppe und des Museums über-
haupt, ist: »Ulysses und die Freier«.
Die große Tafel bedeckt den Hinter-
grund des geräumigen Saals im ersten
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Stockwerke; bis auf einige Details
ist sie fertiggestellt und kann als Typus
der decorativen Werke Moreau’s genommen
werden. Der Maler hat dieses Sujet
mehrmals in Angriff genommen — das
gegenwärtige Bild ist die definitive Ver-
sion. Wir sehen das Atrium des
Odysseus’schen Palastes im Augenblicke,
da die Freier das reiche Haus zu plün-
dern suchen — und da erscheint plötz-
lich Odysseus auf der Schwelle des Saals
und tödtet die schönen jungen Männer
mit sicherem Bogen. Diese Tafel zeigt uns
auch, wie subtil Moreau’s Vorstellungen
von griechischer Wesensart waren; er
sieht die innere Wahrheit, er fühlt die
Essenz der wahren antiken Seele: die
schmerzgeborene Reinheit der Form. In
ähnlich hoher Weise hat er auch die
Orestie, wie alle großen Mythen, un-
zählige Male behandelt.
Wir finden bei Moreau auch sonst
noch diese Vermählung mit der ur-
hellenischen Kunst wieder. Neben dem
Cyclus der Heroen begegnen wir im
Museum der Gruppe Weib. Hier um-
schließt das Genie des Meisters alle
Culturen — von dem geheimnisvollen
Dämmer der Gynecæen bis zu den Pa-
lästen des Herodes und den Zaubergärten
Mosuls und Bagdads. Das Weib ist ihm die
mysteriöse Kraft der Verderbtheit und Ver-
suchung, der Genius des Bösen. Auch
hier dominieren zwei Figuren in unzähligen
über alle anderen: Helena und Salomé.
Man kennt die berühmte »Erscheinung«
(L’Apparition im Musée du Luxembourg):
Salomé sieht das vom Rumpf getrennte
Haupt des Täufers in einem Lichtkreise auf-
tauchen. Das sehr bedeutsame Aquarell des
Museums ist eine durchaus anders geartete
Conception: man sieht den Tanz der Salomé
und ihre hieratischen Gesten inmitten
orientalischer Pracht, im goldigen Schatten
des Palastes, zwischen prunkvollen Säulen,
die mit Edelsteinen besetzt sind. Eine
königliche Sclavin, eine orientalische
Courtisane, in einer hohen Mitra und
angethan mit reichen, schweren Kleidern,
die von Gold und Juwelen strotzen; Gold
und Gemmen funkeln in einem dichten,
blendenden Complex — und diese Vision
ist eine der herrlichsten in unserer mo-
dernen Malerei. Dieses große Aquarell
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