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ist offenbar das bedeutendste Blatt, das
der Maler dieser Figur gewidmet hat; es
gibt hier ähnlicher Tafeln noch mehr:
Salomé im Kerker, Salomé an einer Säule,
Salomé und der Leopard, Salomé im
Garten.
Was ihm Salomé in der orienta-
lischen Welt verkörpert — die ewige
Verführung durch das Weib — das ist
ihm Helena in der griechischen.
Auch hier lassen uns verschiedene Werke
den ganzen Reichthum seiner Inspiration
erkennen. Er zeigt uns das Weib, das
Homer »die schönste der Frauen« nennt,
er zeigt sie uns so wie sie in unserer Vor-
stellung lebt: indifferent und gefühllos,
ein unbewusstes Spielzeug der göttlichen
Fügung, das »die Troër und wohl-
beschienten Achäër so schweres Unheil
erdulden lässt«.
Neben diesen großen Figuren hat
Moreau andere, nicht minder reizvolle,
geschaffen: so Galathea, die Peri, Pasi-
phaë“, die weiße Europa auf dem Stier in
einer Landschaft, die an die Primitiven
erinnert; sodann in zahlreichen Visionen:
die Sirenen und Musen, die von
»Apollo«, ihrem Centrum, aus-
gehen* und den Hesiod durch die
sanften Ebenen Attikas geleiten, in Gruppen
rhythmisch vorüberwandelnd.
Diese »Musen« führen uns zu einer
dritten Etappe in Moreau’s Lebenswerk:
zu dem Cyclus des Dichters. Wie Plato
erkannte auch Moreau in dem Dichter
ein geheiligtes Wesen, und er
bewahrte ihm das Beste seiner Inspiration.
Hier findet man dieselbe visionäre Ver-
tiefung, die gleiche Weite der Conception,
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das gleiche Glühen der Farbengebung,
dieselbe Strenge der Form. Moreau
folgt dieser Figur durch alle Zeitalter und
unter alle Himmelsstriche. Die hohe Gestalt
des orphischen Sehers beherrscht diesen
Cyclus, wie Helena den der Frauen.
Nächst Orpheus fallen besonders auf:
Tyrtäus, der die Krieger zum Kampfe
zwingt (mehrere Bleistiftstudien behandeln
das nämliche Motiv); der Dichter und die
Sirene im Hintergrunde einer meergrünen
Grotte; der Dichter auf dem juwelen-
behängten Rosse des östlichen Indra in-
mitten einer knieenden Menge — im
Hintergrunde die riesigen Säulen des
Tempels; der persische Dichter Sadi in
den Gärten von Mosul oder Damaskus;
der göttliche Aöde, todt, von einem Centaur
die Meeresküste entlang getragen; der
Jüngling, den der Tod überkommt,
während er dem Gesänge der Nereïden
lauscht — — u. v. a.
Dies also ist der erste Eindruck, den
die herrliche Collection in ihrer Gesammt-
heit auslöst. Dank der methodischen
Gruppierung, die der Verwalter, Herr
Rupp, auf das gewissenhafteste durch-
geführt hat, kann der Besucher jedes
Werk in günstigster Beleuchtung sehen
und mühelos in den Zeichnungen blättern.
Dies ist keine kleine Erleichterung, wenn
man bedenkt, dass die ersten Inventare
der Collection 797 Gemälde, 349 Aqua-
relle, 7000 Zeichnungen und Skizzen
und 23 Carton-Entwürfe ergaben. Die
Eröffnung des Moreau-Museums in der rue
La-Rochefoucauld ist in kunstgeschicht-
licher und cultureller Hinsicht eines der be-
merkenswertesten Ereignisse unserer Zeit.
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