Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 210

Zwei Zeichnungen Salome (Beardsley, AubreyWilde, Oscar)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 210

Text

WILDE: SALOME.

dulden Schlag’ zu, schlag’ zu, Naaman, schlag’ zu, sag’ ich dir Nein, ich
höre nichts. Es ist alles still, eine schreckliche Stille. Ah! es ist etwas zu Boden
gefallen. Ich hörte etwas fallen. Es war das Schwert des Henkers. Er hat Angst, dieser
Sclave. Er hat das Schwert fallen lassen. Er traut sich nicht, ihn zu tödten. Er ist
eine Memme, dieser Sclave! Schickt Soldaten hin. (Sie sieht den PAGEN der Herodias und
redet ihn an.) Komm’ hieher. Du warst der Freund des Todten, nicht? Wohlan, ich
sage dir, es sind noch nicht genug Todte. Geh’ zu den Soldaten und befiehl ihnen,
hinabzusteigen und mir zu holen, was ich verlange, was mir der Tetrarch versprochen
hat, was mein ist. (Der Page weicht zurück, sie wendet sich den SOLDATEN zu.) Hieher, ihr
Soldaten! Geht ihr in diese Cisterne hinunter und holet mir den Kopf des Mannes.
Tetrarch, Tetrarch, befiehl deinen Soldaten, dass sie mir den Kopf des Jochanaan holen!

(Ein riesengroßer, schwarzer Arm, der Arm des Henkers, streckt sich aus der Cisterne heraus,
auf einem silbernen Schild den Kopf des Jochanaan haltend. SALOME greift darnach. HERODES
verhüllt sein Gesicht mit dem Mantel. HERODIAS fächelt sich zu und lächelt. Die NAZARENER
sinken in die Knie und beginnen zu beten.)

SALOME: Ah! du wolltest mich deinen Mund nicht küssen lassen, Jochanaan.
Wohl! Ich will ihn jetzt küssen. Ich will mit meinen Zähnen hineinbeißen, wie
man in eine reife Frucht beißen mag. Ja, ich will ihn küssen, deinen Mund, Jochanaan.
Ich hab’ es gesagt; hab’ ich’s nicht gesagt? Ich hab’ es gesagt. Ah! ich will ihn
jetzt küssen Aber warum siehst du mich nicht an, Jochanaan? Deine Augen,
die so schrecklich waren, so voller Wuth und Verachtung, sind jetzt geschlossen.
Warum sind sie geschlossen? Öffne doch deine Augen! Erhebe deine Lider, Jochanaan!
Warum siehst du mich nicht an? Hast du Angst vor mir, Jochanaan, dass du mich
nicht ansehen willst? Und deine Zunge, die wie eine rothe, giftsprühende Schlange
war, sie bewegt sich nicht mehr, sie spricht kein Wort, Jochanaan, diese Scharlach-
natter, die ihren Geifer auf mich spie. Es ist seltsam, nicht? Wie kommt es, dass
die rothe Natter sich nicht mehr rührt? Du wolltest mich nicht haben, Jochanaan!
Du wiesest mich von dir. Du sprachst böse Worte gegen mich. Du benahmst dich
gegen mich wie gegen eine Hure, wie gegen ein geiles Weib, gegen mich, Salome,
die Tochter der Herodias, Prinzessin von Judäa! Nun wohl, ich lebe noch, aber du
bist todt, und dein Kopf gehört mir. Ich kann mit ihm thun, was ich will. Ich kann
ihn den Hunden vorwerfen und den Vögeln der Luft. Was die Hunde übrig lassen,
sollen die Vögel der Luft verzehren Ah! Jochanaan, Jochanaan, du warst der
Mann, den ich allein von allen Männern liebte! Alle anderen Männer waren mir
verhasst. Doch du warst schön! Dein Leib war eine Elfenbeinsäule auf silbernen
Füßen. Er war ein Garten voller Tauben und Silberlilien. Er war ein silberner
Thurm, mit Elfenbeinschilden gedeckt. Nichts in der Welt war so weiß wie dein
Leib. Nichts in der Welt war so schwarz wie dein Haar. In der ganzen Welt war
nichts so roth wie dein Mund. Deine Stimme war ein Weihrauchgefäß, das seltene
Düfte verbreitete, und wenn ich dich ansah, hörte ich geheimnisvolle Musik. O!
warum hast du mich nicht angesehen, Jochanaan! Mit deinen Händen als Mantel
und mit dem Mantel deiner Lästerworte verhülltest du dein Gesicht. Du legtest über
deine Augen die Binde Eines, der seinen Gott schauen wollte. Wohl, du hast deinen
Gott gesehen, Jochanaan, aber mich, mich, mich hast du nie gesehen! Hättest du
mich gesehen, so hättest du mich geliebt! Ich sah dich und ich liebte dich! O, wie
liebte ich dich! Ich liebe dich noch, Jochanaan! Ich liebe nur dich Ich dürste
nach deiner Schönheit; ich hungere nach deinem Leib; nicht Wein noch Äpfel
können mein Verlangen stillen. Was soll ich jetzt thun, Jochanaan? Nicht die Fluten,
noch die großen Wasser können dies brünstige Begehren löschen. Ich war eine
Fürstin, und du verachtetest mich! Ich war eine keusche Jungfrau, und du nahmst
mir meine Keuschheit. Ich war rein und züchtig, und du hast Feuer in meine Adern
gegossen Ah! Ah! warum sahst du mich nicht an? Hättest du mich angesehen,
du hättest mich geliebt. Ich weiß es wohl, du hättest mich geliebt, und das Geheimnis
der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 210, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-12_n0210.html)