Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 209
Text
voll zu sehen sind. Ich habe ein Halsband mit vier Reihen Perlen. Sie sind wie
Monde, die an silberne Strahlen gekettet sind. Ja, sie sind wie ein halbes Hundert
Monde, die man in goldenem Netz gefangen hat. Auf der Elfenbeinbrust einer Königin
haben sie geruht. Du sollst schön sein wie eine Königin, wenn du sie trägst.
Ich habe zwei Sorten Amethyste; die einen sind wie dunkelschwarzer Wein, und
die andern sind roth wie Wein, den man mit Wasser vermengt hat. Ich habe Topase,
gelb wie die Augen der Tiger, und Topase, die sind hellroth wie die Augen einer
Waldtaube, und grüne Topase, die sind wie Katzenaugen. Ich habe Opale, die immer
funkeln, mit einem Feuer, das kalt wie Eis ist, Opale, die den Geist der Menschen
traurig stimmen und die das Dunkel nicht ertragen können. Ich habe Onyxe, gleich
den Augäpfeln einer todten Frau. Ich habe Mondsteine, die ihre Farben wechseln,
wenn der Mond wechselt, und erblassen, wenn sie die Sonne sehen. Ich habe Saphire,
so groß wie ein Ei und so blau wie blaue Blumen. Das Meer wogt in ihnen, und
der Mond wandelt wie das Blau ihrer Wellen. Ich habe Chrysolithe und Berylle
und Chrysoprase und Rubine, ich habe Sardonyx- und Hyacinthsteine und Steine
von Chalcedon — und ich will sie dir alle geben, alle, und will noch andere Dinge
dazuthun. Der König von Indien hat mir jetzt eben erst vier Fächer geschickt, die
aus Papageifedern gefertigt sind, und der König von Numidien ein Gewand von
Straußfedern. Ich habe einen Krystall, in den zu schauen keinem Weibe erlaubt
ist, und junge Männer dürfen ihn nur betrachten, wenn sie vorher mit
Ruthen gestrichen worden. In einem Perlmutterkästchen habe ich drei wunderbare
Türkise. Wer sie an seiner Stirn trägt, kann Dinge schauen, die nicht wirklich sind,
und wer sie in der Hand trägt, kann einer Frau die Fruchtbarkeit benehmen. Das
sind große Schätze. Es sind unbezahlbare Schätze. Aber das ist nicht alles. In einem
Kästchen aus Ebenholz habe ich zwei Becher aus Bernstein, die sind wie Äpfel von
reinem Gold. Wenn ein Feind Gift in diese Becher gießt, werden sie Äpfel von
Silber. In einem Kästchen, das mit Bernstein eingelegt ist, habe ich Sandalen, die
mit Glas eingelegt sind. Ich habe Mäntel, die man aus dem Lande der Sever
gebracht hat, und Armspangen, rundum mit Karfunkeln und Achaten besetzt, die aus
der Stadt Euphrates kommen Was begehrst du noch sonst, Salome? Sage mir,
was du begehrst, ich will es dir geben. Alles, was du verlangst, will ich dir geben
—
nur Eines nicht. Ich will dir alles geben, was mein ist — nur nicht das Leben
dieses einen Mannes. Ich will dir den Mantel des Hohepriesters geben. Ich will dir
den Vorhang des Allerheiligsten geben
DIE JUDEN: Oh! Oh!
SALOME: Gib mir den Kopf des Jochanaan!
HERODES (sinkt auf seinen Sitz zurück): Man soll ihr geben, was sie verlangt!
Sie ist in Wahrheit ihrer Mutter Kind!
(DER ERSTE SOLDAT tritt näher. HERODIAS zieht dem TETRARCHEN den Todesring vom
Finger und gibt ihn dem Soldaten, der ihn auf der Stelle dem Henker überbringt. Der
Henker sieht erschrocken drein.)
HERODES: Wer hat meinen Ring genommen? Ich hatte einen Ring an der
rechten Hand. Wer hat meinen Wein getrunken? Es war Wein in meinem Becher.
Er war mit Wein gefüllt. Es hat ihn jemand ausgetrunken! O! gewiss wird Unheil
über Einen kommen. (Der Henker geht in die Cisterne hinunter.) O! warum habe ich
einen Eid geschworen? Von jetzt ab soll kein König mehr einen Eid schwören. Wenn
er ihn nicht hält, ist es schrecklich, und wenn er ihn hält, ist es auch schrecklich.
HERODIAS: Meine Tochter hat recht gethan.
HERODES: Ich bin sicher, es wird ein Unheil geschehen.
SALOME (lehnt sich über die Cisterne und horcht): Es ist kein Laut zu ver-
nehmen. Ich höre nichts. Warum schreit er nicht, der Mann? Ah! wenn einer mich
zu tödten versuchte, ich würde schreien, ich würde mich wehren, ich würde es nicht
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 209, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-12_n0209.html)