Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 208

Zwei Zeichnungen Salome (Beardsley, AubreyWilde, Oscar)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 208

Text

WILDE: SALOME.

SALOME: Ich fordere den Kopf des Jochanaan.

HERODES: Du hörst nicht zu. Du hörst nicht zu. Lass’ mich zu dir reden,
Salome.

SALOME: Den Kopf des Jochanaan.

HERODES: Nein, nein, du möchtest das nicht haben. Du sagst das nur, um
mich zu quälen, weil ich dich so angesehen und es den ganzen Abend nicht
gelassen habe. Es ist wahr, ich habe dich angesehen und hab’s den ganzen Abend
nicht gelassen. Deine Schönheit hat mich verwirrt. Deine Schönheit hat mich maßlos
verwirrt, und ich habe dich allzuviel angesehen. Aber ich will dich wahrhaftig nicht
mehr ansehen. Man sollte gar nichts ansehen. Weder Dinge noch Menschen sollte
man ansehen. Nur im Spiegel sieht es sich gut, denn Spiegel zeigen uns bloß Masken.
O! o! bringt Wein! Mich dürstet! Salome, Salome, lass’ uns wie Freunde zu
einander sein. Bedenk’ dich! Ah! was wollte ich sagen? Was war’s? Ah! ich
weiß es wieder! Salome — komm’ doch näher her zu mir, ich fürchte, du
hörst sonst meine Worte nicht — Salome, du kennst meine weißen Pfauen, meine
schönen, weißen Pfauen, die im Garten zwischen den Myrten und den hohen
Cypressenbäumen wandeln. Ihre Schnäbel sind mit Gold bemalt, und die Körner,
die sie fressen, sind vergoldet, und ihre Füße sind mit Purpur gefärbt. Wenn sie
ihren Schrei ausstoßen, kommt Regen, und der Mond zeigt sich am Himmelszelt,
wenn sie ihr Rad entfalten. Zwei und zwei wandeln sie zwischen den Cypressen-
bäumen und den dunklen Myrten, und für jeden ist ein Sclave da, der ihn pflegt.
Manchmal fliegen sie über die Bäume weg und zuweilen ruhen sie im Gras und
rund um die Teiche. In der ganzen Welt gibt es keine so wunderbaren Vögel. Ich
weiß, Cäsar selbst hat nicht so schöne Vögel, wie meine Vögel sind. Ich will dir
fünfzig von meinen Pfauen geben. Sie werden dir folgen, wohin du gehen willst,
und inmitten ihrer Schar wirst du wie der Mond sein inmitten einer großen, weißen
Wolke. Ich will sie dir geben, alle. Ich habe bloß hundert, und in der ganzen
Welt lebt kein König, der Pfauen hat, wie meine Pfauen sind. Aber ich will sie dir
alle geben. Nur musst du mich von meinem Eid entbinden und musst nicht von
mir verlangen, was deine Lippen von mir verlangt haben.

(Er leert seinen Becher.)

SALOME: Gib mir den Kopf des Jochanaan!

HERODIAS: Gut gesagt meine Tochter! Und du, du bist lächerlich mit
deinen Pfauen!

HERODES: Still! Was kreischest du denn immer? Du kreischest wie ein Raub-
vogel. Du musst nicht so kreischen. Deine Stimme peinigt mich. Still, sag’ ich dir!
Salome, bedenke, was du thun willst. Es kann sein, dass der Mann von Gott
gesandt ist. Er ist ein heiliger Mann. Der Finger Gottes hat ihn berührt. Gott hat
schreckliche Worte in seinen Mund gelegt. Im Palaste wie in der Wüste ist immer
Gott bei ihm Es kann wenigstens sein, dass er bei ihm ist. Man kann es nicht
sagen, aber es ist möglich, dass Gott bei ihm ist und ihm beisteht. Wenn er daher
stirbt, kann mich vielleicht ein Unheil treffen. Er hat wirklich gesagt, an dem Tage,
da er stirbt, wird irgend jemanden Unheil treffen. Wen sollte es treffen, wenn nicht
mich? Denk’ daran, ich trat in Blut, als ich hierher kam. Und hörte ich nicht auch
in der Luft ein Rauschen von Flügeln, ein Rauschen von ungeheuren Flügeln? Das
sind schlimme Zeichen. Und es war noch anderes da. Ich bin sicher, es war noch
anderes da, ich habe es nur nicht gesehen. Du möchtest nicht, dass mich ein
Unheil trifft, Salome? Hör’ jetzt auf mich.

SALOME: Gib mir den Kopf des Jochanaan!

HERODES: Ach! Du willst nicht auf mich hören. Sei ruhig. Ich, siehst du,
ich bin ruhig. Ich bin ganz und gar ruhig. Höre. Ich habe an diesem Ort Juwelen
versteckt — Juwelen, die selbst deine Mutter nie gesehen hat; Juwelen, die wunder-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 208, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-12_n0208.html)