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»Hast du jemals schon so singen ge-
hört?« fragte Isergil, indem sie den Kopf
erhob und mit ihrem zahnlosen Munde
lächelte.
»Nein, niemals «, flüsterte ich.
»Aha! Wirst es auch nicht! Wir
lieben den Gesang. Und sind alle schön.
Nur schöne Menschen können gut singen
— schöne Menschen, die das Leben lieben.
Wir lieben das Leben. Siehst du, wie sie
den ganzen Tag nicht müde werden, die
da singen? Haben von Sonnenaufgang bis
Sonnenuntergang gearbeitet; dann geht
der Mond auf, und sofort singen sie. Die
nicht zu leben verstehen, legen sich viel-
leicht schlafen. Die aber das Leben lieb
haben und schätzen, die — singen.«
»Aber die Gesundheit «, begann ich.
»Die Gesundheit reicht immer für
das Leben aus! Wenn du Geld hast,
gibst du das nicht aus? Genau so ist es
mit der Gesundheit! Weißt du, was ich
that, als ich jung war? Hab’ von morgens
bis abends Teppiche gewebt, fast ohne
aufzustehen. War munter wie ein Sonnen-
strahl und musste doch unbeweglich sitzen
wie ein Stein. Ich saß so lange, dass
mir zuweilen alle Knochen knackten.
Wenn aber die Nacht kam, lief ich zu
meinem Schatz, um mit ihm zu kosen.
Waren anderthalb Meilen bis zu ihm.
Und zurück wieder ebensoviel. Weißt du,
was das sagen will ? So lief ich drei
Monate lang, solange die Liebe dauerte,
und war in der Zeit jede Nacht bei ihm.
Hab’ lange genug gelebt — und das
Blut reichte doch aus! Wieviel hab’ ich
geliebt! Wieviele Küsse bekommen und
gegeben «
Ich schaute ihr ins Gesicht. Ihre
schwarzen Augen waren noch immer trübe,
keine Erinnerung belebte sie. Hell schien
der Mond auf ihr schwarzes, runzeliges
Gesicht, und ich sah die trockenen,
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zitternden Lippen, die nach innen ein-
gefallen waren, das zugespitzte Kinn mit
grauen Haaren daran und die runzelige,
wie ein Eulenschnabel gebogene Nase.
An Stelle der Wangen befanden sich
schwarze Gruben, und in einer von ihnen
lag ein Büschel aschgrauer Haare, die
sich unter dem rothen Lappen hervor-
drängten, mit dem ihr Kopf umwickelt
war. Die Haut im Gesicht, am Halse und
auf den Händen war zart und überall von
Furchen durchschnitten; bei jeder Bewegung
konnte die trockene Haut völlig entzwei-
reißen, in Fetzen auseinanderfallen, und
dann stand vor Einem ein bloßes Gerippe
mit trüben, schwarzen Augen
»Erzähl’ mir, wie du geliebt hast.«
Und sie begann mit ihrer knirschenden
Stimme wieder zu erzählen:
»Ich lebte mit meiner Mutter bei Falma
am Ufer des Berlat und war 15 Jahre
alt, als Er im Boot bei unserer Hütte er-
schien. War groß, gewandt, schwarzbärtig,
lustig. Sitzt im Boot und schreit in unser
Fenster: Heda! Habt ihr keinen Wein
oder etwas zu essen! Ich schaue durch
die Eschenzweige zum Fenster hinaus und
sehe: Der Fluss ist ganz blau vom Monde
und er im weißen Hemde mit breitem
Leibgurt, dessen Enden an der Seite herab-
hängen, steht mit einem Fuße im Kahn,
mit dem anderen am Ufer. Schaukelt sich
und singt dabei. Als er mich erblickt,
sagt er: Sieh’ da, was für ein hübsches
Dirndl! Hab’ ich gar nicht gewusst! Als
wenn er alle hübschen Mädchen außer
mir kannte! Ich gab ihm gekochtes
Schweinefleisch und Wein Und
nach vier Tagen gab ich mich selbst.
Wir fuhren nachts im Boot zusammen;
er kam, pfiff leise wie eine Zieselmaus,
und ich sprang hurtig wie ein Fisch
durchs Fenster, an den Fluss, zu ihm.
Dann fuhren wir Er war ein Fischer
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