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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 13, S. 218

Text

GORKIJ: DIE ISERGIL.

vom Pruth, und als die Mutter dann
dahinterkam und mich prügelte, über-
redete er mich, mit ihm nach Dobrudscha
und weiter nach der Donaumündung zu
ziehen. Aber er gefiel mir damals schon
nicht mehr: sang beständig und küsste
mich — weiter nichts. Das war lang-
weilig. Um die Zeit zog eine Schar
Huzulen nach unserem Ort. Hatten dort
ihre Liebsten waren stets fröhlich
und guter Dinge. Manches Mädchen, das
so auf ihren Karpathen-Burschen wartete,
dachte, er sitzt schon hinter Schloss und
Riegel oder ist im Streite erschlagen
worden — da kommt er plötzlich wie
vom Himmel herab, allein oder mit zwei, drei
Gefährten zu ihr, bringt viele, reiche
Geschenke mit — konnten ja alles leicht
haben! — schmauste bei ihr und pries sie
vor seinen Gefährten. Das machte ihr
Vergnügen. Ich bat damals eine Freundin,
die einen Huzulen zum Liebsten hatte,
mir die Leute zu zeigen. Wie sie hieß,
habe ich vergessen vergesse jetzt
alles. Sind sechs Jahrzehnte seitdem ver-
flossen! Nun, die machte mich mit einem
jungen Burschen bekannt War ein
netter Kerl, blond, rothblond — auch
der Bart und das Haar. Hatte einen
Feuerkopf War bisweilen traurig
und freundlich, aber oft brüllte er wie
ein Raubthier und raste. Einmal schlug
er mich ins Gesicht Aber ich sprang
ihm wie eine Katze an die Brust und biss
mich mit den Zähnen in seine Backe
ein Von der Zeit an hatte er ein
Grübchen auf der Backe und er mochte
es gern, wenn ich das Grübchen küsste «

»Wo ist aber dein Fischer geblieben?
fragte ich.

»Der Fischer? Ach der der zog
mit ihnen, mit den Huzulen. Anfangs
redete er auf mich ein und drohte, mich
ins Wasser zu werfen; aber dann kam
er nicht mehr und nahm eine andere
Sind beide zusammen aufgehängt, der
Fischer und der Huzule. Hieß »Kreuz-
schnabel«, der Huzule, wegen seiner rothen
Haare. Ich sah zu, wie die beiden auf-
gehängt wurden. Das war in Dobrudscha.
Der Fischer gieng blass zur Hinrichtung
und weinte, aber der Huzule rauchte seine
Pfeife. Gieng und rauchte, die Hände in
der Tasche; eine Schnurrbarthälfte lag

auf der Schulter, die andere hieng auf
die Brust herab. Als er mich erblickte,
nahm er die Pfeife aus dem Munde und
schrie: »Ade!« Ich hab’ ihn ein
ganzes Jahr lang betrauert. Das war da-
mals, als sie nach den Karpathen in ihre
Heimat ziehen wollten. Hatten sich bei
einem Rumänen zu Gast geladen, da
wurden sie ergriffen; zwei nur, die anderen
wurden getödtet oder entkamen Dem
Rumänen aber hat man es später heim-
gezahlt! Verbrannten sein Haus und
die Mühle mit allem Korn. Er wurde zum
Bettler.«

»Hast du das gethan?« fragte ich
aufs Gerathewohl.

»Hatten viele Freunde, die Huzulen;
war nicht ich allein Ja, ihr bester
Freund ließ sogar Seelenmessen für sie
lesen «

Der Gesang am Meeresufer war ver-
stummt. Die Erzählung wurde jetzt vom
Rauschen der Meereswogen begleitet, und
dieses verhalten-empörte Rauschen bildete
eine prächtige Begleitung der Erzählung
von dem Rebellenleben. Kaum hörbar,
drang vom Meeresufer undeutliches Ge-
spräch und Gelächter herüber. Die Nacht
wurde immer milder und das freundliche,
blaue Mondlicht nahm beständig zu, aber
die unbestimmten Laute der verborgenen
Bewohner wurden leiser, wurden vom an-
wachsenden Geräusch der Wellen ver-
schlungen, denn der Wind kam auf.

»Dann habe ich einen Türken geliebt;
war bei ihm im Harem in Skutari, eine
ganze Woche lang Wurde bald lang-
weilig — immer Weiber und nichts als
Weiber Er hatte acht Frauen
Den ganzen Tag über wurde gegessen,
geschlafen oder man zankte sich wie die
Hühner War schon nicht mehr jung,
dieser Türke, sondern fast grau und ernst
und reich! Sprach wie ein Machthaber
Hatte schwarze aufrichtige Augen, sahen
Einem gerade ins Herz Ich sah ihn
in Bukarest Er gieng über den Markt
wie ein König und sah gar stolz drein.
Ich lächelte ihm zu. Am selben Abend
griff man mich auf der Straße auf und
brachte mich zu ihm. Er handelte mit
Cypressen und Palmen und war nach
Bukarest gekommen, um einzukaufen.
Willst mit mir ziehen? fragte er. — Ja, ich

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 13, S. 218, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-13_n0218.html)