Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 207
Text
HERODES: Ah! Wundervoll! Wundervoll! Siehst du, sie hat für mich getanzt,
deine Tochter. Komm’ her, Salome, komm’ her, du sollst deinen Lohn haben. Ah!
Ich zahle Denen königlichen Preis, die mir zur Lust tanzen wollen. Ich will dich könig-
lich belohnen. Ich will dir alles geben, was dein Herz begehrt. Was willst du
haben? Sprich!
SALOME (kniend): Ich möchte, dass sie mir gleich in einer Silberschüssel
HERODES (lachend): In einer Silberschüssel? Gewiss doch, in einer Silber-
schüssel! Sie ist reizend, nicht? Was ist es, das du in einer Silberschüssel haben
möchtest, o süße, schöne Salome, du, die schöner ist, als alle Töchter Judäas? Was
sollen sie dir in einer Silberschüssel bringen? Sag’ es mir? Was es auch sein mag,
du sollst es erhalten. Meine Reichthümer gehören dir. Was ist es, das du haben
möchtest, Salome?
SALOME (steht auf): Den Kopf des Jochanaan.
HERODIAS: Ah! Das sagst du gut, meine Tochter.
HERODES: Nein, nein!
HERODIAS: Das sagst du gut, meine Tochter.
HERODES: Nein, nein, Salome. Das ist es nicht, was du begehrst. Hör’
nicht auf die Stimme deiner Mutter. Sie hat dir immer schlechten Rath gegeben.
Achte nicht auf sie.
SALOME: Ich achte nicht auf die Stimme meiner Mutter. Zu meiner eigenen
Lust will ich den Kopf des Jochanaan in einer Silberschüssel haben. Du hast einen
Eid geschworen, Herodes. Vergiss es nicht, du hast einen Eid geschworen!
HERODES: Ich weiß es. Ich habe einen Eid geschworen, bei meinen Göttern
habe ich geschworen. Jch weiß es wohl. Aber ich beschwöre dich, Salome, ver-
lange etwas anderes von mir. Verlange die Hälfte meines Königreichs von mir.
Ich will sie dir geben. Aber verlange nicht von mir, was deine Lippen verlangt haben.
SALOME: Ich verlange von dir den Kopf des Jochanaan.
HERODES: Nein, nein, ich will ihn dir nicht geben.
SALOME: Du hast einen Eid geschworen, Herodes.
HERODIAS: Ja, du hast einen Eid geschworen. Alle haben es gehört. Du
hast es vor allen geschworen.
HERODES: Still, Weib! Zu dir spreche ich nicht.
HERODIAS: Meine Tochter hat wohl daran gethan, den Kopf des Jochanaan
zu verlangen. Er hat mich mit Schimpf und Schande bedeckt. Er hat unsägliche
Dinge gegen mich gesagt. Man kann sehen, dass sie ihre Mutter lieb hat.
Gib nicht nach, meine Tochter. Er hat einen Eid geschworen, er hat einen Eid
geschworen.
HERODES: Still! Sprich nicht zu mir! Salome, ich beschwöre dich,
sei nicht trotzig. Ich bin immer gut zu dir gewesen. Ich habe dich immer lieb
gehabt Kann sein, ich habe dich zu lieb gehabt. Drum verlange das nicht
von mir. Das ist etwas Schreckliches, etwas Grauenvolles, was du von mir verlangst.
Sicher, ich glaube, du willst scherzen. Der Kopf eines Mannes, der vom Rumpf
getrennt ist, das ist ein übler Anblick, nicht? Es ziemt sich nicht, dass die Augen
eines Mädchens auf so etwas fallen. Was für eine Lust könntest du darin finden?
Du könntest keine Lust darin finden. Nein, nein, das begehrst du nicht. Horch,
was ich sage. Ich habe einen Smaragd, einen großen Smaragd, einen runden, den
Cäsars Freundin mir hergeschickt hat. Wenn du durch diesen Smaragd siehst, kannst
du sehen, was weit weg vor sich geht. Cäsar selbst trägt solch einen Smaragd,
wenn er in den Circus geht. Aber mein Smaragd ist der größere. Ich weiß es, er
ist der größere. Er ist der größte Smaragd in der ganzen Welt. Den willst du
haben, nicht wahr? Verlange ihn von mir, ich werde ihn dir geben.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 207, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-12_n0207.html)