Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 206

Zwei Zeichnungen Salome (Beardsley, AubreyWilde, Oscar)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 206

Text

WILDE: SALOME.

HERODES: Du hörst, was deine Tochter sagt. Sie will für mich tanzen. Du
thust recht, wenn du für mich tanzest, Salome. Und wenn du für mich getanzt
hast, vergiss nicht, von mir zu begehren, was zu begehren dir in den Sinn kommen
mag. Alles, was du verlangst, werde ich dir geben, und wäre es die Hälfte meines
Königreichs. Ich habe es geschworen — oder nicht?

SALOME: Du hast es geschworen, Tetrarch!

HERODES: Und ich habe immer mein Wort gehalten. Ich bin keiner von
Denen, die ihre Eide brechen. Ich verstehe mich nicht aufs Lügen. Ich bin der
Sclave meiner Worte, und mein Wort ist das Wort eines Königs. Der König von
Cappadocien trug immer Lügen im Mund, aber er ist kein echter König. Er ist ein
Wicht. Er schuldet mir auch Geld, das er nicht heimzahlt. Er hat sogar meine
Gesandten beleidigt. Er hat Worte gesprochen, die kränkend waren. Aber Cäsar
wird ihn ans Kreuz schlagen lassen, wenn er nach Rom kommt. Ich weiß, Cäsar
wird ihn kreuzigen lassen. Und wenn er ihn nicht kreuzigen lässt, wird er doch
sterben und von den Würmern gefressen werden. Der Prophet hat es prophezeit.
Nun! Warum zögerst du, Salome?

SALOME: Ich warte, bis meine Sclavinnen mir Salben und die sieben Schleier
bringen und die Sandalen von meinen Füßen lösen.

(SCLAVEN bringen Salben und die sieben Schleier und nehmen Salome die Sandalen ab.)

HERODES: Ah, du wirst mit nackten Füßen tanzen! ’s ist gut! ’s ist gut!
Deine kleinen Füße werden wie weiße Tauben sein. Sie werden wie kleine weiße
Blumen sein, die auf Bäumen tanzen Nein, nein, sie wird auf Blut tanzen!
Da auf dem Boden ist Blut vergossen! Sie soll nicht auf Blut tanzen! Es wäre ein
böses Zeichen.

HERODIAS: Was kümmert es dich, ob sie auf Blut tanzt? Du hast tief genug
darin gewatet

HERODES: Was kümmert es mich? Ah, sieh’ den Mond an! Er ist roth
geworden. Er ist roth geworden wie Blut. Ah, der Prophet hat wahr prophezeit. Er
prophezeite, dass der Mond wie Blut werden würde. Hat er das nicht prophezeit? Ihr
alle habt gehört, wie er es prophezeite. Und jetzt ist der Mond wie Blut geworden.
Seht ihr es nicht?

HERODIAS: O ja, ich sehe es gut, und die Sterne fallen wie unreife Feigen,
nicht? Und die Sonne wird finster wie ein schwarzes Tuch, und die Könige der
Erde erzittern. Das wenigstens kann man sehen. Darin wenigstens hat der Prophet
Recht behalten mit seinem Wort, denn fürwahr, die Könige der Erde zittern
Wir wollen hineingehen. Du bist krank. Sie werden in Rom sagen, dass du verrückt
bist. Wir wollen hineingehen, sage ich.

DIE STIMME DES JOCHANAAN: Wer ist Der, der von Edom kommt, wer
ist Der, der von Bozra kommt, dessen Kleid mit Purpur gefärbt ist, der in der
Schönheit seiner Gewänder leuchtet, der mächtig in seiner Größe wandelt? Warum
ist dein Kleid mit Scharlach gefleckt?

HERODIAS: Wir wollen hineingehen. Die Stimme dieses Menschen macht
mich wahnsinnig. Ich will nicht haben, dass meine Tochter tanze, während er fort-
während dazwischenschreit. Ich will nicht, dass sie tanze, während du sie auf solche
Art ansiehst. Mit einem Wort, ich will nicht haben, dass sie tanze.

HERODES: Steh’ nicht auf, mein Weib, meine Königin, es wird dir nichts
helfen. Ich gehe nicht hinein, bevor sie nicht getanzt hat. Tanze, Salome, tanze
für mich!

HERODIAS: Tanze nicht, meine Tochter!

SALOME: Ich bin bereit, Tetrarch.

(SALOME tanzt den Tanz der sieben Schleier.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 206, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-12_n0206.html)