Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 205

Zwei Zeichnungen Salome (Beardsley, AubreyWilde, Oscar)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 205

Text

WILDE: SALOME.

dass wir bei Sonnenaufgang zur Jagd gehen. Alle Ehren müssen Cäsars Gesandten
erwiesen werden, nicht?

ZWEITER SOLDAT: Der Tetrarch blickt finster drein.

ERSTER SOLDAT: Ja, er blickt finster drein.

HERODES: Salome, Salome, tanz’ für mich. Ich bitte dich, tanz’ für mich.
Ich bin traurig heut’ Nacht. Als ich hieher kam, bin ich in Blut getreten, und das
ist ein böses Zeichen; auch hört’ ich in der Luft ein Rauschen von Flügeln, ein
Rauschen von riesengroßen Flügeln. Ich weiß nicht, worauf das deuten mag
Ich bin traurig heut’ Nacht. Drum tanz’ für mich. Tanz’ für mich, Salome, ich
bitte gar sehr. Wenn du für mich tanzest, kannst du von mir begehren, was du
willst, ich werde es dir geben. Ja, tanz’ für mich, Salome, und was du immer von
mir begehren magst, das will ich dir geben, und wär’s die Hälfte meines Königreichs.

SALOME (steht auf): Willst du mir wirklich alles geben, was ich von dir
begehre, Tetrarch?

HERODIAS: Tanze nicht, meine Tochter!

HERODES: Alles, was du von mir begehren wirst, und wär’s die Hälfte meines
Königreichs.

SALOME: Du schwörst es, Tetrarch?

HERODES: Ich schwöre es, Salome!

HERODIAS: Tanze nicht, meine Tochter!

SALOME: Wobei willst du das beschwören, Tetrarch?

HERODES: Bei meinem Leben, bei meiner Krone, bei meinen Göttern. Ver-
lange, was du willst, ich will es dir geben, und wär’s die Hälfte meines Königreichs,
wenn du nur für mich tanzen willst. O Salome, Salome, tanz’ für mich!

SALOME: Du hast einen Eid geschworen, Tetrarch.

HERODES: Ich habe einen Eid geschworen!

HERODIAS: Meine Tochter, tanze nicht!

HERODES: Und wär’s die Hälfte meines Königreichs. Du wirst unermesslich
schön sein als Königin, Salome, wenn es dir gefällt, die Hälfte meines Königreichs
zu begehren. Wird sie nicht schön sein als Königin? Ah, es ist kalt hier! Es geht
ein eisiger Wind, und ich höre Warum hör’ ich in der Luft dies Rauschen von
Flügeln? Ah! Es ist doch so, als ob ein ungeheurer schwarzer Vogel über der
Terrasse schwebte. Warum kann ich ihn nicht sehen, diesen Vogel? Das Rauschen
seiner Flügel ist schrecklich. Der sausende Wind von diesen Flügelschlägen ist
schrecklich. Es ist ein schneidender Wind. Aber nein, er ist nicht kalt, er ist heiß.
Es ist zum Ersticken. Gießt mir Wasser über die Hände. Gebt mir Schnee zu essen.
Macht mir den Mantel los! Schnell, schnell, macht mir den Mantel los! Doch nein,
lasst ihn. Mein Kranz drückt mich, die Rosen meines Kranzes. Die Blumen sind wie
Feuer. Sie haben mir die Stirn verbrannt. (Er reißt das Gewinde vom Kopf und wirft
es auf den Tisch.) Ah! Jetzt kann ich athmen. Wie roth diese Rosenblätter sind! Sie
sind wie Blutflecken auf einem Gewande. Doch lassen wir’s. Es ist thöricht, in allem,
was man sieht, Bedeutung zu spüren. Es bringt zu viel Entsetzen ins Leben. Es
wäre besser zu sagen, dass Blutflecken so lieblich wie Rosenblätter sind. Es wäre
ferner besser zu sagen, dass Aber wir wollen nicht davon sprechen. Ich bin
jetzt glücklich. Ich bin über die Maßen glücklich. Hab’ ich nicht das Recht, glück-
lich zu sein? Deine Tochter will für mich tanzen. Wirst du nicht für mich tanzen,
Salome? Du hast versprochen, für mich zu tanzen.

HERODIAS: Ich will nicht haben, dass sie tanze.

SALOME: Ich will für dich tanzen, Tetrarch.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 205, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-12_n0205.html)