Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 204

Zwei Zeichnungen Salome (Beardsley, AubreyWilde, Oscar)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 204

Text

WILDE: SALOME.

HERODES: Und dann, der Ausbau des Tempels, von dem sie soviel geredet
haben, wird da etwas geschehen? Sie sagen, der Vorhang zum Allerheiligsten sei
verschwunden, nicht wahr?

HERODIAS: Du hast ihn selber gestohlen. Du schwatzest in den Tag hinein
und sinnloses Zeug. Ich will nicht hierbleiben. Wir wollen hineingehen.

HERODES: Tanz’ für mich, Salome.

HERODIAS: Ich will nicht haben, dass sie tanze.

SALOME: Ich habe keine Lust zu tanzen, Tetrarch.

HERODES: Salome, Tochter der Herodias, tanz’ für mich.

HERODIAS: Sei still! Lass’ sie in Frieden.

HERODES: Ich befehle dir zu tanzen, Salome.

SALOME: Ich will nicht tanzen, Tetrarch.

HERODIAS (lachend): Du siehst, wie sie dir gehorcht.

HERODES: Was kümmert es mich, ob sie tanzt oder nicht? Das gilt mir
gleich. Heut’ Nacht bin ich glücklich. Ich bin ausnehmend glücklich. Ich bin nie
so glücklich gewesen.

ERSTER SOLDAT: Der Tetrarch blickt finster drein. Sieht er nicht
finster drein?

ZWEITER SOLDAT: Ja, er sieht finster drein.

HERODES: Warum sollte ich nicht glücklich sein? Cäsar, der der Herr der
Welt ist, Cäsar, der der Herr über alles ist, liebt mich gar sehr. Er hat mir
höchst kostbare Geschenke übersandt. Auch hat er mir versprochen, den König von
Cappadocien, der mein Feind ist, nach Rom vorzuladen. Kann sein, dass er ihn in
Rom ans Kreuz schlagen lässt, denn er ist imstande, alles zu thun, wonach ihm
der Sinn steht. Cäsar ist in Wahrheit ein Herr. Drum thue ich wohl daran,
glücklich zu sein. Ich bin sehr glücklich, nie bin ich so glücklich gewesen. Nichts
in der Welt kann mein Glück stören.

DIE STIMME DES JOCHANAAN: Er wird auf seinem Throne sitzen. Er wird
gekleidet sein in Scharlach und Purpur. In seiner Hand wird er einen goldenen
Becher halten, der voll ist seiner Lästerungen. Und der Engel des Herrn wird ihn
darniederschlagen. Er wird von den Würmern gefressen werden.

HERODIAS: Du hörst, was er über dich sagt. Er sagt, du wirst von den
Würmern gefressen werden.

HERODES: Er spricht nicht von mir. Er spricht nie gegen mich. Er spricht
von dem König von Cappadocien, der mein Feind ist. Der wird von den Würmern
gefressen werden. Ich bin es nicht. Nie hat er ein Wort gegen mich gesprochen,
dieser Prophet, außer, dass ich sündigte, als ich das Weib meines Bruders zum Weibe
nahm. Kann sein, er hat recht. Denn in der That, du bist unfruchtbar.

HERODIAS: Ich bin unfruchtbar, ich? Das sagst du, du, der fortwährend
meine Tochter ansieht, du, der sich an ihrem Tanze weiden möchte? Du sprichst
wie ein Narr. Ich habe ein Kind geboren. Du hast kein Kind gezeugt, nein, nicht
mit einer einzigen deiner Sclavinnen. An dir liegt es, nicht an mir!

HERODES: Still, Weib! Ich sage, du bist unfruchtbar. Du hast mir kein
Kind geboren, und der Prophet sagt, dass unsere Ehe keine rechte Ehe ist. Er
sagt, dass es eine Ehe der Blutschande ist, eine Ehe, die Unheil bringen wird
Ich fürchte, er hat recht; es ist mir sicher, dass er recht hat. Aber es ist nicht
die Stunde, von diesen Dingen zu sprechen. Ich möchte glücklich sein heute. Wahr-
haftig, ich bin glücklich. Es gibt nichts, was ich misse.

HERODIAS: Ich bin froh, dass du heut’ Nacht so gutgelaunt bist. Es kommt
nicht oft vor bei dir. Aber es ist spät. Wir wollen hineingehen. Vergiss nicht,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 204, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-12_n0204.html)