Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 214

Dante von Carl Federn* Theater* (Drews, Arthur, Prof.S., B.)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 214

Text

THEATER.

ist seine unmittelbare Erfassung des
Wesentlichen.

Sehr schön sind auch die Analysen
des Neuen Lebens und der Göttlichen
Komödie. Der Verfasser streut hier vielfach
Proben von Dantes Dichtungen in noch
unveröffentlichte, theils eigene Über-
setzungen ein, die, in der That stellen-
weise besser als irgend eine andere
bekannte Übersetzung, geeignet sind, uns
die Schönheit des Klanges und die Gewalt

der Stimmung bei Dante ahnen zu lassen.
Ganz herrlich ist z. B. seine Wiedergabe
der berühmten Francisca-Episode aus dem
ersten Theile der Göttlichen Komödie.
Das Buch enthält auch eine ganze Dante-
Ikonographie, Namen, wie Giotto, Gaddi,
Signorelli, Botticelli, Schnorr v. Carolsfeld,
Genelli, Führich, Blake, Rethel, Rossetti,
Böcklin u. s. w.

KARLSRUHE. A. D.

THEATER.

Das Wiener Volkstheater hat sich für
einige Wochen in der Berliner Schumann-
straße heimisch gemacht. Wer im Deutschen
Theater
seit Jahren einen bestimmten Stil
zu finden gewohnt ist, auf den wird manches,
was die Wiener Gäste uns zeigen, befremdend
wirken. Wir haben sowohl Anzengrubers
wundervolle aristophanische Komödie von den
»Kreuzelschreibern«, wie Roberto Braccos
geistreich gewagte Plauderei »Untreu« in Berlin
in vortrefflichen Aufführungen kennen gelernt,
und die Erinnerung an diese ist mir durch die
Wiener Gäste nicht verdunkelt worden. Marti-
nellis viel gerühmten »Steinklopferhans« habe
ich zwar bewundert, aber ich kann mir die
Rolle auch noch anders gespielt denken. Der
alte Brenninger des Herrn Russek muss zum
Schlusse sogar anders gespielt werden. In
Braccos Lustspiel war Helene Odilon nicht
eine Gräfin San Giorgi, sondern eine vor-
nehme Pariser Halbweltlerin, die die Gewagt-
heit des Dialogs und der Situation manchmal
gar zu stark betonte. Dem Grafen Silvio des
Herrn Kutschera fehlt es meines Erachtens
sowohl an Temperament wie Eleganz. Herr
Kramer legte seinen düpierten Galan bewusst
oder unbewusst mit den Farben Richard
Alexanders an. Auffallend war die geradezu
dürftige Ausstattung der Junggesellenwohnung
im zweiten Act. Überhaupt scheint die Wiener
Regie noch ein wenig unter Laubes Einfluss zu
stehen, der bekanntlich für das Bühnenbild
wenig Interesse und Verständnis besaß und
nur auf Sprache und Zusammenspiel achtete.
In Goethes Schauspiel »Die Geschwister«

begrüßten wir Rosa Retty als alte Bekannte.
Die Marianne ist nicht ihre beste Rolle. Sie
spielt sie mit viel Gefühl und warmem Ton,
aber etwas zu einförmig und zu modern. In den
ganz entgegengesetzten Fehler verfiel Herr
Kutschera als Wilhelm, indem er sich über-
mäßig bestrebt zeigte, Sonnenthal zu copieren.
Herr Wallner gab wenig glücklich den Fabrice
im Stile eines Intriguanten.

Eine Enttäuschung brachte auch die Erstauf-
führung von R. Lothars Maskenspiel »König
Harlekin«, dessen Darstellung in Wien dem
Deutschen Volkstheater verboten wurde und
das deshalb gelegentlich des Berliner Gast-
spiels seine Feuertaufe erhalten sollte. Wenn
die Darstellung wenig befriedigend erschien,
so ist dies hauptsächlich der Lebensunfähigkeit
dieser Phrasenkomödie zuzuschreiben. Mit dem
Censurverbot hat die Wiener Behörde dem
Stück zuviel Ehre angethan und eine unnöthige
Reclame gemacht. In Berlin hat man es ruhig
dem Berliner Publicum überlassen, das ver-
unglückte Werk abzulehnen. Eine der Haupt-
figuren des Stückes sagt einmal: »Was sind
wir alle? Armselige Puppenspieler.« Auf
»König Harlekin« angewendet, hat sie Recht,
denn die Personen dieses Possenspiels, es sind
recht viele, die mitspielen, ohne Welt-
erschütterndes zu sagen, sind nichts weiter
als schön costümierte hölzerne Glieder-Puppen,
denen man als Redewerkzeug einen Phono-
graphen mit großem Wortgeklingel und
Phrasenvorrath auf den Weg zur Bühne mit-
gegeben.

BERLIN. B. S.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 214, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-12_n0214.html)