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Gegen die ÄSTHETISCHE UNCULTUR
unserer BÜHNEN-DECORATION wendet sich
Prof. Peter Behrens (Darmstadt) in einem
Sonderheft der »Deutschen Kunst und Deco-
ration«. — Die bildende Kunst erweist sich
bei Betrachtung des Verhältnisses sämmtlicher
Künste zu einander als die am weitesten
in cultureller Hinsicht vorgeschrittene. So ist
es nur eine natürliche Consequenz, dass sie
in erster Linie die Aufgabe empfindet, die
Bühne mit neuem Geiste zu beleben und ihr
neuerdings den Sinn zu geben, den einst die
Griechen erfasst haben und den Goethe ver-
langt hat: der Cultus des Schönen und des
vorbildlichen Geschmackes ist ihr eigentlicher
Zweck. Das Schauspielhaus ist in unserer Zeit
nachgerade eine Stätte der plattesten Unter-
haltung geworden. Die Oper ist bislang noch
am meisten im Reiche der Kunst geblieben.
Aber auch die technische Höhe des Decorations-
wesens, die wir in Bayreuth erblicken und die
den anderen Theatern als leuchtendes Vorbild
dient, zeugt — so anerkennenswert sie in
anderer Hinsicht sein mag — im Grunde nur
von ästhetischer Uncultur. Die scenische
Einkleidung der Bühnenvorgänge lässt künst-
lerische Gestaltung, Form, Stil vermissen. Die
Decoration will als »wahre Natur« wirken und
disharmoniert schon dadurch mit der Kunst
im Stücke. Das Princip, dem Zuschauer den
Gedanken, dass alles nur Spiel sei, möglichst
zu nehmen, schließt das höchste aller Kunst-
ziele: die erhebende Wirkung aus. Goethe
verlangte das Zusammenwirken aller Künste
auf der Bühne, Shakespeare legte den
größten Wert auf Decoration und Costüme
(vgl. die Studie Oscar Wildes »Die Wahr-
heit der Maske« in IV, 5 der »W. R.«), uns
aber fehlt die Überzeugung, dass alle Künste:
Dichtkunst, Musik, Malerei und Tanz als gleich-
berechtigte und gleich vornehme Factoren zum
Ganzen zu wirken berufen- sind. Die Malerei
soll sich zum Bühnenvorgang verhalten wie die
Musik zum Operntext; Wagners Ausspruch,
dass die Musik das geben soll, was das
Wort nicht sagen kann, ist auch auf die
Malerei auszudehnen; wo also Decoration ver-
wendet wird, hat diese ebenfalls ein Neues
zu geben. Die bildende Kunst hat nicht das
Ziel, pomphafte Ausstattungsstücke zu schaffen,
vielmehr ist ihr Zweck, den Gesang ihrer
Linien, die Macht ihrer Farben zum Drama zu
steigern. Auf Einklang und Einfachheit kommt
es an. Das Hauptgewicht der ganzen Deco-
ration, die vom Zuschauerraum durch einen
monumentalen Rahmen abgeschlossen wird,
ist theils auf den Hintergrund zu legen, theils
auf die »Costüme«. Die Malerei sollte soweit
stilistisch und ornamental behandelt werden,
dass die ganze Stimmung des Actes durch sie
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dargestellt wird. Sie hat nicht »Natur« darzu-
stellen, sondern charakteristisch und durch
intensivste Stilisierung das Wesen des Dramas
zu veranschaulichen. — Wie lange wird man
noch die sonst fast vollkommene Wiedergabe
des Wagner’schen Musikdramas durch die
grotesken Ausgeburten stumpfsinniger »Deco-
rationsmalerei« compromittieren? Selbst
Thoma (Bayreuth) ist hier nicht das Richtige;
nur der Stil westlicher Künstler (Burne-Jones,
Beardsley, Crane etc.) könnte uns diese
Gestalten scenisch wahrhaft erleben lassen.
Unter dem Titel »DIE SOCIOLOGIE DES
GENIES« veröffentlicht Ernst Gystrow eine
Studie in den »Socialistischen Monatsheften«.
Das Dasein jedes Wesens sei, meint er, durch
das Verhältnis seiner Innenwelt zu seiner Um-
welt bestimmt; dieses sei zu erforschen. Die
Umwelt habe lediglich eine secundäre Beein-
flussung auf das Genie, trotz der Taine’schen
Milieu-Theorie. Die Innenwelt des Genies sei
— nach Simmel — gegeben durch die po-
tentielle
Anhäufung von Arbeitskraft
in den Ganglien-Zellen der genial
veranlagten Persönlichkeit, welche
durch bestimmte Reize (Eindrücke) explosiv
entladbar sei. Das Genie bestehe in einer be-
stimmten biologischen Organisation, deren
Herkunft aus allmählicher Züchtung ererbter
Eigenschaften nicht nachgewiesen werden
könne. Wäre diese Theorie richtig, so müsste
eine bestimmte Zeit in einem bestimmten
Punkte ein Genie hervorbringen, was nicht
zutrifft. Hier scheitert auch die marxistische
Geschichtsauffassung, welche das Wirken des
Genies auf die ökonomische Structur eines
Zeitalters zurückführt. Der Genius lässt sich
durchaus nicht aus der historischen, noch aus
der socialen Entwicklung erklären. Die Intelli-
genz schreite vorsichtig fort, das Genie aber
scheide sich von ihr eben durch das
intui-
tive
und explosive, ahnende und
mo-
mentane
Erfassen der großen Idee. Dass
auch der Größte der Entwicklung nicht ent-
gegenarbeiten könne, sei sicher; aber er könne
sie qualitativ beeinflussen. Wenn also die
sociologische Form der modernen Geschichts-
auffassung die Genies sozusagen neben die
Entwicklung stelle, erinnere dies an Professor
Liebreichs Theorie der Mikro-Organismen in
der Bacteriologie; als er diese Lebewesen
nicht mehr leugnen konnte, behauptete er, sie
seien nur begleitende, nicht verursachende
Erscheinungen im Krankheitsprocess. Aber
man hat das Entgegengesetzte bewiesen. Die
marxistische Auffassung stehe rathlos vor der
großen Persönlichkeit, deren Entstehung zu
erklären ihre Mittel und Argumente nicht
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