Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 13, S. 240

Iphigenie auf Tauris* Zuschrift * (Lindner, AntonFörster-Nietzsche, Elisabeth)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 13, S. 240

Text

THEATER.

Oder das Besondere über die
»Iphigenie«:

»Das Stück hat seine Schwierigkeiten. Es
ist reich an innerem Leben, aber arm an
äußerem. Dass aber das innere Leben hervor-
gekehrt werde, darin liegt’s! Es ist voll der
wirksamsten Mittel, die aus den mannigfaltigsten
Greueln hervorwachsen, die dem Stücke zu-
grunde liegen Wir wollen von der
Meerluft frisch angewehte
, kraftvolle
Griechen und Helden sehen, die, von mannig-
faltigen Übeln und Gefahren geängstigt und
bedrängt, stark herausreden, was ihnen das
Herz im Busen gebietet; aber wir wollen
keine schwächlich empfindenden
Schauspieler
! Ich muss gestehen, es
hat mir noch nie gelingen wollen, eine
vollendete Aufführung meiner ‚Iphigenie‘ zu
erleben«.

Iphigenie, das »göttergleiche Weib«
(Pylades, Vers 772), von der die be-
zeichnende, wenn auch irrthümliche Sage
geht, dass sie dem Stamme der Amazonen

entspringe (Vers 776 u. ff.), war niemals Me-
litten gleich und niemals einer Summserin.
Man kann Rautendeleins Flüsterlied als
decorative Arabeske nehmen — aber die
Göttergleiche aus Tantals Geschlecht ist
kein elbisches Wesen, und das Lied der
Parzen, das sie grausend sangen, als
Tantalus vom goldenen Stuhle fiel, lässt
sich nicht ungestraft zu einer koketten
Nuance oder zu einem kümmerlichen
a parte-Sprüchel herabstimmen. Der Ver-
such, diese verzweifelt nothdürftige Zu-
rechtlegung, die rein subjectiv aus den
Persönlichkeitsgrenzen einer falsch ver-
wendeten Darstellerin hervorgegangen,
nachträglich als objectiv-psychologische
Notwendigkeit und nachahmenswerte
Neuerung hinzustellen, kann eine ernste
Widerlegung nicht beanspruchen.

ANTON LINDNER.

Das Nietzsche-Archiv in Weimar
sendet uns folgende Zuschrift:

Nachdem in den letzten Jahren mehr-
fach Briefe meines Bruders Friedrich
Nietzsche
unbefugt veröffentlicht worden
sind, erkläre ich, dass ich von jetzt an
jede Veröffentlichung von Briefen Nietz-
sches, sowohl in Buchform als in Zeit-
schriften, sowie jeden Neudruck früherer
Veröffentlichungen von Nietzsche’schen

Briefen, die ohne Erlaubnis des Autors oder
seiner gesetzlichen Vertreter erfolgt ist, als
unbefugt ansehen und gerichtlich verfolgen
werde. Eine Gesammtausgabe der Briefe
Friedrich Nietzsches bereite ich vor; das
Erscheinen des ersten Bandes ist für den
Herbst 1900* vorgesehen.

Weimar, Nietzsche-Archiv, Juni 1900.

ELISABETH FÖRSTER-NIETZSCHE.

* Bei Schuster & Loeffler, Berlin.


Herausgeber: Constantin Christomanos und Felix Rappaport. — Verantwortlicher Redacteur:
Anton Lindner.

K. k. Hoftheater-Druckerei, Wien, I., Wollzeile 17. (Verantwortlich A. Rimrich.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 13, S. 240, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-13_n0240.html)