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BURGTHEATER: IPHIGENIE AUF
TAURIS. — Zwischen Melitta und Megära
schwankt die Theatergriechin unserer Tage.
Entweder ist sie noch immer die
Heroine, die ihre Blankverse wie Opern-
soli hervorstößt und hinter ihnen, die
gleichsam etwas Körperliches scheinen, mit
knallenden Gesten im Stechschritt dahin-
stürmt: das Ebenbild einer Antike also, wie
sie vor Jahrtausenden vielleicht thatsächlich,
aber im Circus Maximus, bestanden hat.
Oder sie ist bereits das süße Mädel, das
mit einer papierenen Amphora oder sonst
einer Legitimation, ein Atlasband hinter den
Ohren, wie ein Bäh-Lämmchen über die
Bretter hüpft und klangvolle Worte wie
mit mutierender Stimme bald falterhaft
fliegen lässt, bald seelenvoll zu ver-
schlucken sucht: das Ebenbild einer Antike
also, die in ihrer Einfalt vermeint, die
Stelzen-Tradition überwunden zu haben, wo
sie doch im Grunde nur ein Moser’scher
Backfisch in Chiton und Sandalen ist.
Und in der That: wie sollen Schau-
spieler, die durch wahllose Spielpläne und
meist verfehlte Verwendung in ihren In-
stincten zu verkrüppeln pflegen, aus ihrer
verkümmerten Kraft heraus die Lösung
eines cultur-ästhetischen und geistigen
Problems finden, das von jeher zu den
schwierigsten Aufgaben der dramatischen
Kunst und dramaturgischen Wissenschaft
gehörte! Wie soll auf unseren heutigen
Bühnen unter derlei Umständen ein
modern-geistiges, befreiendes Ver-
hältnis zu der längst wieder verschleierten
Antike möglich werden, wo doch neben
anderen Voraussetzungen im besonderen
und im ganzen jede höhere Cultur der
Scene fehlt! Was frommen die inter-
essanten Leistungen eines Einzelnen
(Kainz), die jedenfalls trotz mancher schon
erstarrten Manier weit über das Gewöhn-
liche emporragen, wenn das Bühnen-
bild in seiner — nicht etwa nur
decorativen — Gesammtheit jede einheit-
liche, gesättigte Geistigkeit vermissen
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lässt, wenn sich hier das Auge, dort das
Ohr und hier wieder alle inneren Sinne
an falschen Linien, Lauten, Absichten etc.
stoßen müssen und fast in keinem Augen-
blick zu dem Genusse einer groß- und
einzügigen Intuition gelangen? Ein Schau-
spieler — sagt Goethe — sollte eigentlich
auch bei einem Bildhauer und Maler in
die Lehre gehen. So ist ihm, um einen
griechischen Helden darzustellen, durchaus
nöthig, dass er die auf uns gekommenen
antiken Bildwerke wohl studiert und sich die
ungesuchte Grazie ihres Sitzens, Stehens und
Gehens wohl eingeprägt habe. Eine curiose
Forderung fürwahr, wenn man einerseits
die Anarchie und andererseits die Drill-
systeme unserer Bühnenpädagogik in Er-
wägung zieht!
Und überhaupt: Ist heute nach all den
Strömungen und Krisen der letzten fünf
Jahrzehnte, die doch mancherlei neue
Instincte gebildet haben, die Theatercultur
in deutschen Landen etwa tröstlicher ge-
worden als ehedem? Die große Strecke
Weges, die Goethe in jeder Hinsicht seiner
kleinen Zeit vorausgeschritten, ist heute,
will es scheinen, noch immer nicht nach-
geholt.
»Hier in Weimar hat man mir wohl die
Ehre erzeigt, meine ‚Jphigenie‘ und meinen
‚Tasso‘ zu geben; allein wie oft? Kaum alle
drei bis vier Jahre einmal. Das Publicum findet
sie langweilig. Sehr begreiflich. Die Schauspieler
sind nicht geübt, die Stücke zu spielen, und
das Publicum ist nicht geübt, sie zu hören
Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als könne
ich selber dazu beitragen und als könne ich
zu einem solchen Bau einige Grundsteine legen.
Ich schrieb meine ‚Iphigenie‘ und meinen ‚Tasso‘
und dachte in kindischer Hoffnung, so würde
es gehen. Allein es regte sich nicht und rührte
sich nicht und blieb alles wie zuvor. Hätte
ich Wirkung gemacht und Beifall gefunden,
so würde ich Euch ein ganzes Dutzend Stücke
wie die ‚Iphigenie‘ und den ‚Tasso‘ geschrieben
haben. An Stoff war kein Mangel. Allein, wie
gesagt, es fehlten die Schauspieler, um der-
gleichen mit Geist und Leben darzustellen,
und es fehlte das Publicum, dergleichen mit
Empfindung zu hören und aufzunehmen.«
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