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das Selbstgefühl dieser Menschen war tragi-
scher Natur. D’Annunzio aber beweist, wie
wenig er den fundamentalen Abstand zu
ahnen vermag, der ihn von den Höhen der
Menschheit verbannt, und wie sehr ihm
der Maßstab für all die Stufen, Abhänge
und Abgründe fehlt, welche diese Höhen
umringen. Wie hätte er ein Auge für
solche Verhältnisse, er, der jedes höheren
Überblicks unfähig ist! Lassen wir auch
den sentimentalen Theil des Romans un-
berührt, der schon zur Genüge und bis zum
Überdruss der Kritik anheimgefallen ist;
diese Episode dreht sich ebenfalls um den
unumwundenen Größenwahn des Autors,
und d’Annunzio huldigt sich darin in Gestalt
einer Frau, die ihn leider ganz überschätzt.
Bedauerlich bleibt nur die Thatsache, dass
d’Annunzio, sowie er nicht malt, unleidlicher
Schönrednerei verfällt; dass er uns nicht
einen einzigen Gedanken bringt, der von
allgemein giltigem Interesse wäre und
Tragweite oder Bedeutung enthielte; denn
»d’Annunzio« heißt der Kreisel und zu-
gleich die Schranke, die sein Denken
bannen, seinen Flug niederziehen, wenn
er auch noch so sehr das Weite und die
Wolken zu verfolgen und zu erstürmen
wähnt. Wir dürfen uns daher nicht wundern,
wenn dieser hochbegabte Lyriker so große
künstlerische Taktfehler begeht und im
Laufe seiner selbstgefälligen Reden auf
Sandbänke stößt, auf die ein Stümper nicht
geriethe. Seine unmotivierte und gewalt-
same Einfühlung Richard Wagners ist
eine jener literarischen Ungeheuerlichkeiten,
von denen er schon in den „Vergine delle
Rocce“ eine Probe lieferte, wo das plötzliche
Auftreten des Königs und der Königin
Franz von Neapel und die Reminiscenz
geschichtlicher Episoden aus der nächsten
Gegenwart inmitten einer rein fictiven
Erzählung so ungemein störend und un-
passend berührt. Diesesmal aber ver-
misst sich d’Annunzio Richard Wagner
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gegenüber in allerlei persönlichen An-
sprachen! Wagner ist für ihn ein „Grande
Barbaro“. Als solcher wird er denn auch
zum erstenmale mit gewollter Con-
sequenz und nicht ohne »Überlegenheit«
interpelliert, und hier ist der Punkt, wo
auch wir uns wider dieses Buch ereifern!
Wir, die wir Wagners geistige Züge
mehr oder minder alle als Heiligthum
im Herzen tragen, wir erblicken ihn da
plötzlich zu unserem Ärger wie in einem
Vexier-Spiegel entstellt und zum — Collegen
d’Annunzios verwälscht, der mit jedem
Worte bekundet, wie wenig er in Fühlung
mit ihm steht! Umso unbeirrter fährt er
fort! In seinen Augen sind Wagners Er-
rungenschaften nur die Skizze von dem,
was er (d’Annunzio) zu leisten verspricht,
wenn nur die Bedingungen zur schranken-
losen Entfaltung seines Genies sich günstig
erweisen. So nennt er sich „Maestro“
und sieht nicht, dass die Meisterschaft
immer in Thaten beruht oder in Worten,
die vollwichtige Thaten sind! D’Annunzios
tragödische Versuche haben das ihm
eigenthümliche Unvermögen an den Tag
gelegt! Die Lyrik ist seine Muse, seine
Dienerin und sein Gebiet! Warum ver-
schmäht er plötzlich seinen schönsten
Ruhm? Welch moderner Wahnwitz ist
über den größten Sänger Italiens ge-
kommen? Warum zieht dieser Hirte plötzlich
ins Feld und wirft seine Flöte ins Korn?
Seinen Landsleuten aber gereicht es
zur Ehre, dass sie sich durch die große
Begabung dieses Mannes über das wahr-
haft Neronische seiner Eitelkeit nicht
hinwegtäuschen ließen. An den Selbst-
verherrlichungstrieb des römischen Kaisers
muss uns diese Eitelkeit wohl am füg-
lichsten erinnern. Ihm mag er sich denn
auch zur Seite stellen! Den „Grande Bar-
baro“ aber lasse er ruhen!
ROM, Juni 1900. ANNETTE KOLB.
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