Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 13, S. 233

Die Vorausbestimmung des Geschlechts bei der Erzeugung vom Standpunkte der occulten Wissenschaft Christen und Heiden (Hartmann, FranzSeiling, Max, Prof.)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 13, S. 233

Text

SEILING: CHRISTEN UND »HEIDEN«.

im allgemeinen auf die Zeugung Ein-
fluss hat.

Leider gestattet es der uns zugemessene
Raum nicht, die verschiedenen bisher vor-
gebrachten Theorien in Bezug auf die
Vorbestimmung des Geschlechts zu be-
sprechen und zu untersuchen, inwieferne

bereits bekannt gewordene Thatsachen
durch die Theorie von Paracelsus ihre
Erklärung fanden. Vielleicht veranlassen
diese wenigen Bemerkungen irgendeinen
intelligenten Gelehrten, ein Werk darüber
zu schreiben.

CHRISTEN UND »HEIDEN«.
Von PROF. MAX SEILING (München - Pasing).

»Der Buddhismus ist sowohl wegen
der überwiegenden Anzahl seiner Be-
kenner, als wegen seiner inneren Vor-
trefflichkeit und Wahrheit als die vor-
nehmste Religion auf Erden zu be-
zeichnen.« SCHOPENHAUER.

Hinsichtlich ihres religiösen Bekennt-
nisses pflegt man die Erdbewohner in
Christen, Juden, Mohammedaner und
Heiden einzutheilen, wobei gewöhnlich
bedauert wird, dass trotz der Mission die
größere Hälfte der Menschheit immer noch
aus Heiden besteht. Gegen diese Unter-
scheidung wäre nichts einzuwenden, wenn
man unter Heiden lediglich diejenigen
Menschen verstehen wollte, welche, ab-
gesehen von ihrem culturellen und sitt-
lichen Standpunkt, keine Monotheisten
sind, d. h. — um es genauer auszu-
drücken — welche nicht an den außer-
weltlichen Judengott Jehovah glauben. Zu-
meist werden jedoch mit dem Begriffe
»Heidenthum« ein primitiver Polytheismus,
eine unwürdige Götzendienerei, eine nied-
rige Culturstufe und eine unzureichende
Sittlichkeit verbunden. Da nimmt es
sich denn sehr wunderlich aus, dass die
überwiegende Mehrzahl der Heiden aus
Buddhisten besteht. Zwischen dieser Art
»Heiden« und den hochstehenden Christen
möchte ich im nachstehenden einen Ver-
gleich anzustellen versuchen. Dabei be-
schränke ich mich auf die beiden Haupt-
bestandtheile der Religionen: die Moral
und die Dogmatik.

Was die christliche Moral betrifft,
so wird gerne behauptet, dass die Welt
mit völlig neuen, bis dahin ungeahnten

Grundsätzen bereichert worden sei. Darauf
erwidert aber z. B. Buckle sehr richtig:
»Zu behaupten, dass das Christenthum
vorher unbekannte, sittliche Wahrheiten
in die Welt gebracht habe, beweist ent-
weder grobe Unwissenheit oder geflissent-
lichen Betrug.« In der That hat gerade
Buddha lange vor Christus nicht nur die
gleichen Moralgesetze aufgestellt wie dieser,
sondern das Mitleid ausdrücklich auch für
die Thiere gefordert, so dass die buddhisti-
sche Moral umfassender genannt werden
kann als die christliche. Solchermaßen
müssen in den christlichen Ländern Polizei
und Thierschutzverein die Stelle der Re-
ligion vertreten. Diesem nicht zu unter-
schätzenden, von Schopenhauer mit Recht
so streng gerügten Mangel der christlichen
Moral ist es zum guten Theil auch
zuzuschreiben, dass sich die menschen-
unwürdige und nach dem Zeugnisse vieler
Ärzte noch dazu zwecklose Vivisection so
breit machen darf, wie es in unserer Zeit
der Fall ist.

Hat also das Christenthum in Bezug
auf die Moralgesetze vor dem Buddhis-
mus im besten Falle gar nichts voraus,
so gestaltet sich der Vergleich sehr zu
Ungunsten jener Religion, wenn man nach
den Wirkungen fragt, welche die Moral
in beiden Fällen gehabt hat. Da tritt
uns zunächst die peinliche Thatsache ent-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 13, S. 233, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-13_n0233.html)