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DIE GLORIA. Tragödie von Gabriele
D’ANNUNZIO. Deutsch von Linda v. Lützow.
Berlin. S. Fischers Verlag. 1900. Immer
noch ist Analyse die Kunst der Neuen, immer
noch scheint sie nach neuen Werten zu
schürfen. Darüber ist d’Annunzio auch in
seinen Dramen noch nicht hinausgekommen
— trotz aller neu-synthetischen Momente
seiner Dichtungen. Charakteristisch hiefür sind
die mit novellistischer Breite ausgeführten
Regie-Bemerkungen.* Im großen und ganzen
geben sie sich als außerordentlich feinsinnige
psychologische Analysen, die freilich hin
und wieder outriert wirken und wohl auch
nicht ohne eine gewisse psychologisierende
Koketterie sind. Vielfach wendet d’Annunzio
den traditionellen Apparat der alten Tragödie
an, doch ohne rechtes Geschick. Die Exposition
zum Beispiel ist sehr mangelhaft. Und trotz
aller psychologischen Finessen in den Regie-
Bemerkungen ist es ihm doch nicht gelungen,
einen tragischen Conflict organisch zu ent-
wickeln. Seine Motivierung ist mehr als dürftig.
Gänzlich unvorbereitet wirkt der Ausgang des
Ganzen. Die Personen sind starr und leblos,
wie antike Masken. Er versteht es nicht,
lebendige Menschen zu gestalten. Alles ist bei
ihm Pomp und Pose und kalt wie Marmor,
jeder sympathetischen Wirkung bar. Nur die
Sprache ist reich an Schönheit, Pracht und
Energie. Sie ist fast der einzige ästhetische
Genuss, den das Drama bietet. Es gibt Stellen
in der »Gloria«, wo sie geradezu berauscht.
Die beste Tradition der lateinischen Antike
lässt d’Annunzio in ihr aufleben! Dies soll ja
neuerlich auch sein vorwiegendster Ehrgeiz
sein. Indessen muss uns ihre tendenziöse
Rhetorik fremd anmuthen, nicht minder auch
ihre übertriebene Geistreichigkeit. Und dann
sind seine Personen so ungemein gesprächig.
Dramatiker ist d’Annunzio in dieser »Gloria«
noch weit weniger als in der »Gioconda«.
CARL SPITTELER: OLYMPISCHER
FRÜHLING. Epos. Die Auffahrt. Verlegt
bei Eug. Diederichs. Leipzig. 1900.
Es sind im Laufe des letzten Jahrzehnts
unterschiedliche Versuche gemacht worden,
das alte Vers-Epos wieder zu erneuern und
weiterzubilden. Tragen aber bereits die be-
merkenswerteren Versuche der Vorjahrzehnte
auf diesem Gebiete, die großen Ependichtungen
des Grafen Schack und W. Jordans, das ent-
schiedene Gepräge des Epigonenthums, stellen
sie sich den alten Volks- und Kunst-Epen des
griechischen Alterthums und des germanischen
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Mittelalters gegenüber als gekünstelt dar und
leben sie gänzlich von ihren Gnaden, so ist
dies noch weitaus mehr bei diesen neueren
epischen Versuchen der Fall, wie etwa bei
Harts »Lied der Menschheit«, das sich übrigens
noch dazu in augenfälliger Abhängigkeit
von Schack befindet, so dass also Hart gar
Epigone eines Epigonen ist. Nicht minder
ist dieser »Olympische Frühling« Spittelers
eine Epigonen-Arbeit. Er ist gar in Ale-
xandrinern geschrieben. Und nicht nur in dieser
äußeren und formalen Eigenschaft ist er ein
Product des modernen Alexandrinismus.** Weit
entfernt von der edlen schlichtgroßen Einfachheit
und Klarheit der alten Ependichtungen, zeigt
er eine krause, oft barock anmuthende, recht
undurchsichtige Symbolistik und bietet ein
wunderliches Gemisch hellenischer, christlicher
und altpersischer Mythologie, dessen Noth-
wendigkeit gar nicht recht ersichtlich ist.
Wenn sich etwa bei Max Klinger der tiefere
Sinn einer Verbindung christlicher und
hellenischer Mythologie darthut, so ist diese
Verbindung bei Spitteler nichts als Will-
kür. Überhaupt zeigt sich hier die hellenische
Mythologie, man weiß nicht recht weshalb,
gänzlich auf den Kopf gestellt und durch-
einandergewirrt. Über diesem — freilich
bedenklichen — Mangel sollen aber die Vor-
züge des Buches nicht übersehen werden.
Sie liegen vor allem in der Sprache, die oft
etwas von einer herben, schweizerisch-buranen
Kraft hat, mit der sich stellenweise ein ganz be-
sonderer, ich möchte sagen: specifisch Spitteler-
scher Humor verbindet. Ich weise hier auf die
prächtige Geschichte vom Hirten Utis hin
(3. Capitel). Überhaupt ist dieses dritte Capitel
reich an Schönheiten. Ich hebe die Erzäh-
lungen der rastenden Götter hervor, den tiefen,
tragischen Mythos vom ersten Gott und die
Geschichte vom Thal Warumdennnicht.
So sehr sich das Buch als ein Product des
Epigonenthums und Alexandrinismus darstellt,
ist es dennoch eine hervorragende Erscheinung,
das Werk einer eigenkräftigen, stark aus-
geprägten Persönlichkeit und (was vielleicht
seine erquicklichste Eigenschaft) eines Dichters,
der inmitten unseres modernen Femininismus
ein starkes Gepräge von Mannhaftigkeit zeigt,
die so manchem tieferen und dunklen Lebens-
Problem tapfer ins Gesicht schaut. Zudem ist
Spitteler, wie sonst selten einer der neueren
Dichter, ein Neuwortbildner und Sprach-
bereicherer; ganz abgesehen von der beson-
deren Nuance des Schweizer-Deutsch, die
seinen Versen einen eigenen Reiz verleiht.
BERLIN. JOHANNES SCHLAF.
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